Donnerstag, 3. Februar 2011

Wenn unser Blick was Ungeheures sieht ...

In einem Jahr mit 13 Monden
(Rainer Werner Fassbinder, 1978)

Als verwaistes Kind einsam in einem katholischen Kloster aufgewachsen, später zum Schlächter erzogen, mit der Tochter des Metzgers Irene (Elisabeth Trissenaar) verheiratet und  wieder geschieden und als Vater einer Tochter hat sich Erwin (Volker Spengler) einst entschieden, sich aufgrund einer nicht erwiderten Liebe zu einem Mann (Gottfried John) einer Geschlechtsumwandlung zu unterziehen, um als Elvira neues Glück zu finden. Doch trotz ihres neuen Äußeren, ihrer unberührten Hülle, gelingt es ihr nicht diese ersehnte Glückseligkeit zu erreichen, in eine emotionale Leere driftend. Sie verdient ihr Geld als Barkeeperin und Prostituierte, streift tagsüber durch Frankfurt auf ihrer Suche nach dem Verständnis und den Respekt, den sie verdient. Ihr Lebensgefährte beschließt Elvira kurzerhand zu verlassen, nicht zum ersten aber vielleicht zum letzten Mal und in ihrer Einsamkeit wendet sie sich an die ihr am nächsten Mitmenschen, ihre Freundin Zora (Ingrid Caven) und an Irene, doch letztlich sucht sie nach Mitgefühl und Liebe in ihrer Vergangenheit, fest entschlossen ihre verflossene Liebe Anton aufzuspüren. Auch das Dasein als Fleischhauerin möchte sie wieder aufgreifen, doch von allen Seiten stößt sie auf Unverständnis, auf Ablehnung, kommt immer weiter vom Kurs ab, zunehmend den Zugang zur Gesellschaft und ihren Mitmenschen verlierend, ihre einzige Hoffnung daran klammernd, in ihrem einstigen Herzensbrecher die Liebe wiederzufinden.

"In einem Jahr mit 13 Monden" war eines der späteren Werke  Rainer Werner Fassbinders, der 1982 überraschend verstarb. Trotz seiner komprimierten Schaffensperiode von etwa 15 Jahren umfasst Fassbinders Filmografie über 40 Werke, von Kurzfilmen, über Spielfilme und Mini-Serien. Neben Wenders, Schlöndorff und Herzog zählt man ihn zu den wichtigsten Vertretern des Neuen Deutschen Films, der im Zuge der Protestbewegung von 1968  bis Ende der 70er-Jahre seine Blütezeit erlebte. Besonders Fassbinders Filme gelten als intensive, ehrliche und oft persönliche Beiträge zur deutschsprachigen Filmgeschichte, und eben das lässt sich auch von "In einem mit 13 Monden" behaupten. In seinem Film verarbeitete Fassbinder den Tod seines ehemaligen Lebensgefährten, der sich kurz nach der Trennung der beiden das Leben genommen hatte.

Die Bewältigung der persönlichen Tragödie spiegelt sich als essentielles Motiv in "In einem Jahr mit 13 Monden" wider. In einem Moment der Einsamkeit, der Nachdenklichkeit stößt Elvira unvorhergesehen auf einen Selbstmörder. Was folgt ist ein Diskurs über den Sinn und die Bedeutung des Suizids und eine Erläuterung über die Absichten, Ziele und über die Motivationen desjenigen, der sich das Leben nimmt. Schopenhauer zitierend versucht der Selbstmörder Elvira auszulegen, was der Selbstmord bedeutet, in welchen Umständen er geschieht, und welche Rolle der Lebenswillen spielt:
"Der Selbstmörder will das Leben und ist bloß mit den Bedingungen unzufrieden, unter denen es ihm geworden ist. Daher gibt er keineswegs den Willen zum Leben auf sondern bloß das Leben, indem er die eigene Erscheinung des Lebens zerstört."
Ohne den moralischen Drang die fiktive Figur von ihrem letalen Vorhaben abzuhalten, behandelt Fassbinder diese kurze, unscheinbar direkte Episode über den Selbstmörder, ohne über die Tat zu urteilen oder sie im Gegensatz dazu zu ästhetisieren.

Die wohl bekannteste und berüchtigste Szene des Films ist die mehrminütige Fahrt durch ein Schlachthaus, wo vor der Kamera Kühen die Kehlen durchgeschnitten werden, während Elvira aus einem Voice-over von ihren Erfahrungen auf dem Metier des Metzgerdaseins erzählt und davon unabhängige Geschehnisse ihrer Vergangenheit zum besten gibt. Im Grunde demonstrativ wird in dieser Szene eine Passage aus Goethes "Torquato Tasso" zitiert, wo Antonio Montecatino, Staatssekretär der Stadt Ferrara, dem titelgebenden Helden im Bezug auf seine Besiegbarkeit erklärt:
"Wenn unser Blick was Ungeheures sieht, steht unser Geist auf eine Weile still."
Ein Satz, der nicht nur als konzise Definition der einen Szene an Bedeutung gewinnt, sondern als wiederkehrendes Sinnbild in einer ganzen Reihe von Einstellungen auftritt. Denn in vielen Fällen verpasst uns Fassbinder schon rein optisch einen knallharten Schlag in die Magengrube, uns für den Moment paralysierend, sodass uns das Gesagte oft vorenthalten bleibt, nur unser Unterbewusstsein ansprechend. Den Film in Einzelteile aufzuspalten und den Sinn jedes einzelnen vollends zu begreifen, ist kaum möglich, doch darum geht es hier auch gar nicht, denn "In einem Jahr mit 13 Monden" ist schon in geringerer Rezeption ein kritisches und unheimlich intensives Meisterwerk.

4 Kommentare:

  1. "In einem Jahr mit 13 Monden" gehört leider ein wenig zu den vernachlässigten Filmen des Regie-Tyrannen, an den sich heute doch alle seine Schauspieler gern zurückerinnern, weil er in seinem Werk erst einmal grundsätzlich nicht verurteilte, sondern beschrieb und die Frage nach dem "Warum" stellte. Es scheint mir, seine ganz späten Filme ("Lili Marleen", 1980, "Lola", 1981, und "Die Sehnsucht der Veronika Voss", 1982) seien neben den eigentlichen "Skandalen" wie "Deutschland im Herbst" (1978) eine Zeitlang zu sehr im Zentrum des Interesses gestanden. Dabei bedarf dieser Regisseur grundsätzlich einer Gesamtwürdigung, zu der ich seltsamerweise nicht viel beitragen kann, obwohl ich seine Filme liebe. - Danke, dass du an eine seiner faszinierendsten und mutigsten Arbeiten erinnerst!

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  2. Habe selbst das Gefühl, dass "In einem Jahr mit 13 Monden" zwischen Fassbinders bekannteren Filmen zu Unrecht übersehen wird, doch wie du richtig sagst, um seines Schaffens gerecht zu werden, bedarf es im Grunde einer Gesamtwürdigung dessen. Und das traue ich mich trotz meines bis dato recht geringen Einblicks in das Gesamtwerk Fassbinders zu sagen. Alleine seine Produktivität war mustergültig und auf diesem hohen Niveau wohl beispiellos.

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  3. Fassbinder war wirklich ein Arbeitstier und hat in manchen Jahren 3 bis 4 Filme rausgehaut und nebenbei noch Theater inszeniert. Die Kehrseite war sein destruktiver Lebensstil, der ihn so früh ins Grab brachte. Ich denke bei ihm immer an eine Zeile von Neil Young: "It's better to burn out than to fade away ..." Das hätte jedenfalls Fassbinders Motto sein können. Die hohe Produktivität beruhte auch auf der (vor allem emotionalen) Ausbeutung der Mitglieder des sprichwörtlichen Fassbinder-Clans, bzw. auf deren freiwilliger Selbstausbeutung. Nicht alle kamen damit zurecht. So nahm sich neben Armin Meier (das Vorbild für die Figur in den 13 MONDEN) auch El Hedi ben Salem das Leben, der vor allem mit ANGST ESSEN SEELE AUF in Erinnerung bleibt. Ob man das "System Fassbinder" wirklich als mustergültig bezeichnen soll, sei dahingestellt. Wiederholbar ist es kaum, weil wohl kein anderer Regisseur ein solches Faszinosum für seine Mitarbeiter darstellt wie RWF.

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  4. Muss gestehen, dass sich El Hedi ben Salem das Leben genommen hat, hab ich gar nicht gewusst. Tragische Sache. Falls du bezüglich "Mustergültigkeit" auf meinen oberen Kommentar anspielt, dann gebe ich dir natürlich recht, denn ob das private Handeln und die Geschehnisse im Leben der Beteiligten an Fassbinders Werk als "mustergültig" zu bezeichnen ist, das ist ein anderes Thema. Doch ganz nüchtern betrachtet, den Blick vollkommen auf seine Produktivität pro Jahr gerichtet, ist Fassbinder Außergewöhnliches gelungen. Was dafür geopfert worden ist, ist jedoch mindestens im gleichen Maße tragisch.

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