Donnerstag, 10. Februar 2011

Schreckgespenster.

Nosferatu
(Friedrich Wilhelm Murnau, 1922)

Der okkulte Graf Orlok (Max Schreck) schickt ein Schreiben in die fiktive deutsche Hafenstadt Wisborg, um beim ortsansässigen Häusermakler Knock (Alexander Granach) um Auskunft zu fragen, ob in der besagten Stadt ein Domizil zum Verkauf stehen würde. In ekstatischer Stimmung, ausgelöst durch des Grafen unerwartete Epistel, schickt der Makler seinen jungen Angestellten Hutter (Gustav von Wangenheim) zum Schloss des Grafen in die Karpaten, um dem potentiellen Kunden ein verfallenes Haus in Wisborg anzubieten. Hutters, mit ihm frisch verheiratete, Ehefrau Ellen (Greta Schröder) ahnt Böses, reagiert sprachlos auf ihres Mannes Neuigkeiten in Erwartung von etwas Schrecklichem. Hutter versucht sie nicht einmal zu beruhigen, zu immens ist die Freude über den eminenten Auftrag, zu groß ist die Hektik, der er ausgesetzt worden ist. Auf schnellstem Wege reist er gen Osten nach Transsilvanien, wo sich das Schloss des Grafen Orlok befindet, der dort scheinbar abgeschnitten von jeglichem zwischenmenschlichen Kontakt zu hausen scheint. 

Neben Langs "Dr. Mabuse, der Spieler" von 1922 und Wienes "Das Cabinet des Dr. Caligari" von 1920 zählt auch Friedrich Wilhelm Murnaus "Nosferatu", basierend auf Bram Stokers legendärem "Dracula", zu den bedeutendsten Werken des Deutschen Expressionismus. Und das, obwohl sich Murnau in "Nosferatu" weitgehend von den verzerrt surrealistischen Kulissen des Expressionismus distanzierte, sich an naturgetreuen Szenerien orientierend. Nur vereinzelt wurde auf groteske Bühnenbilder gesetzt, diese jedoch wirken kaum gezielt als solche eingesetzt, sondern fungieren eher als Mittel zum Zweck, denn die filmischen Möglichkeiten der damaligen Zeit waren begrenzt, Kamera- und Beleuchtungstechniken waren besonders bei nächtlichen Außenaufnahmen unzuverlässig, weswegen Regisseure zu Tricks greifen mussten. So auch Murnau, der in "Nosferatu" sporadisch auf derartige Effekte setzte. Den Expressionismus findet man jedoch im Schauspiel wesentlich deutlicher wieder, am markantesten wohl in der übertriebenen Gestik und der intensiven Betonung von Gefühlen.

Der Schatten des Vampirs zur
atmosphärischen Intensivierung
"Nosferatu" gilt nicht nur Dank der nachhaltig wirkenden Performance Max Schrecks als wichtiger Vertreter des frühen Horrorfilms während der Stummfilm-Ära, sondern veränderte das Genre auch aufgrund des grandiosen Einsatzes einiger Stilmittel fortwährend. Zum Beispiel setzte Murnau schon damals auf gezielte Beleuchtung und erkannte, dass das Spiel mit Licht und Schatten erheblich zur Atmosphäre beitragen kann. So bediente er sich zum Beispiel dieser Technik, um die Spannung vor der Schlussszene zu intensivieren. Der Schatten, der dem Bösen vorauseilt, hat sich mittlerweile, basierend auf dem damals überaus originellen Werk Murnaus, als beliebtes stilistisches Mittel in Horrorfilmen etabliert. Auch der für Stummfilme ungewohnt schnelle Schnitt in Murnaus "Nosferatu" lässt sich als Vorreitermodell sehen, auch wenn sich Murnaus Fokus auf Blenden aller Art in aktuelleren Werken äußerst selten wiederfinden lässt. Besonders die, von Murnau so hemmungslos exzessiv eingesetzte, Loch-Überblende findet sich im zeitgenössischen Film nicht mehr, ist praktisch ausgestorben, und wirkt nicht zuletzt deshalb sehr befremdlich.

Interessant sind auch die zahlreichen Anekdoten und Legenden um den Film, insbesondere um die Rolle und das Schauspiel Max Schrecks. Ein Teil des Films wurde damals in der Slowakei gedreht, wo die Bewohner des Drehorts eher ängstlich auf das Aussehen des Hauptdarstellers reagierten, wodurch letztlich der Mythos entstand, dass Max Schreck tatsächlich ein Vampir sei. Diese Legende griff Edmund Elias Merhige 78 Jahre später für "Shadow of the Vampire", einer Hommage an Murnaus Stummfilm, wieder auf. Kein Einzelfall, denn "Nosferatu - Eine Symphonie des Graunes", wie der Film vollständig heißt, wirkt noch heute nach, resoniert nachwievor in zahlreichen zeitgenössischen Horrorfilmen, sich somit als genreprägenden Film etablierend.

2 Kommentare:

  1. Und er war doch ein Vampir! ;) - Glänzende Beobachtungen, die mir direkt wieder Lust auf eine erneute Sichtung machen. Was ich noch hinzufügen möchte: Es wird oft behauptet, "Nosferatu" sei, sieht man einmal von den unumgänglichen (Copyright) Veränderungen ab, die sich am meisten an den Roman anlehnende Verfilmung des Stoffs, wobei oft auf die Schiffsreise verwiesen wird. Ich bin mir da nicht so sicher: Erstens nimmt die Reise des Grafen mit dem Schiff in Stokers Roman wenig Raum ein (Ausschnitte aus einem Logbuch), zweitens ist "Dracula" natürlich ein Werk des späten Viktorianismus und öffnet damit Raum für geschwätziges Moralisieren. Es ist deshalb vielleicht nicht erstaunlich, dass Tod Browning's Verfilmung auf einem "Well-made-Play" beruht, was man ihm über weite Strecken auch anmerkt. - Ich würde eher dafür plädieren, Murnaus "Nosferatu" als die schaurigste Umsetzung der Vorlage zu bezeichnen. Ob sie eine "getreue" Verfilmung der z.T. langfädigen Romanvorlage ist, wage ich zu bezweifeln.

    AntwortenLöschen
  2. Sehr interessant. Muss gestehen, dass ich bisher weder Bram Stokers Vorlage gelesen, noch Brownings Adaption zur Gänze gesehen habe, deshalb kann ich nur schwer Vergleiche anstellen. Insofern danke, dass du das für mich getan hast ;)

    AntwortenLöschen