Samstag, 5. November 2011

Inescapability.

Melancholia
(Lars von Trier, 2011)

Aufgrund einer nicht ganz unproblematischen Anreise erscheinen Justine (Kirsten Dunst) und Michael (Alexander Skarsgård) zu spät zu ihrer eigenen Hochzeit. Justines Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg), welche maßgeblich an der Planung der Heirat beteiligt ist und dafür gar das Schloss ihres Mannes John (Kiefer Sutherland) zur Verfügung gestellt bekommen hat, ist bei ihrer überfälligen Ankunft stark gereizt und versucht die Prozedur etwas zu beschleunigen. Obwohl Justine mit ihrem Verlobten glücklich wirkt, scheint etwas mit ihr nicht zu stimmen. Sie agiert abweisend, verschließt sich sowohl vor ihrer Verwandtschaft als auch vor ihrem Mann, wodurch der Abend zum Desaster wird. Sie beginnt einen Streit mit ihrem Arbeitgeber, welcher ebenfalls aus der Festlichkeit anwesend ist, und verliert letztlich gar ihren Job. Die geschiedenen Brauteltern tragen ihren Beitrag zur vermasselten Heirat bei, sie führen ihren Ehekrieg vor den Gästen weiter, während John mit Ärger auf die nach Außen unbegründet wirkende Unentschlossenheit seiner Schwägerin reagiert. Die Hochzeit wird zum Reinfall, die Vermählung findet letztlich nicht mehr statt, da sich Michael - wie er Justine erklärt - eine Ehe nicht mehr vorstellen könne. Niemand kann sich anfangs Justines emotionalen Umschwung erklären, einzig der ungewöhnlich hell strahlende Antares im Sternbild des Skorpion fällt als Anomalie auf, die Justines Aufmerksamkeit während des gesamten Abends auf sich zieht und sie scheinbar in ihrem Handeln beeinflusst.

Lars von Trier gelingt es stets eindrucksvoll für Furore zu sorgen, jedoch nicht immer nur cineastisch, wie man spätestens seit seinen Aussagen während der Filmfestspiele von Cannes weiß. Doch abseits seiner umstrittenen Persönlichkeit steht außer Frage, dass sein Werk und dessen Einfluss auf den Film der letzten Jahrzehnte bedeutend ist. Spätestens durch die Mitbegründung des Dogma 95-Manifests, welches bestrebt ist den Realismus im Film stärker zu betonen, zeigte sich sein Einfluss, obgleich er bereits zuvor mit Filmen wie "Element of Crime" (1984) und "Europa" (1991) die Aufmerksamkeit der Kritiker gewonnen hatte. Zum "Enfant terrible" des Kinos wurde Lars von Trier Ende der 90er, als er mit dem graphisch äußerst expliziten "Idioten" (1998) erstmals für einen Skandal sorgte. Fortan sorgte von Trier stets für aufsehenerregende Filme, zuletzt 2009 mit "Antichrist".

"Melancholia" lässt sich innerhalb der von Trier'schen Filmographie fraglos am besten mit "Antichrist" vergleichen, da sich die beiden Filme besonders in puncto Gliederung, Struktur, aber auch bezüglich der Bildsprache sehr ähnlich sind. Auch die Tatsache, dass sich die Handlung in "Melancholia" trotz des opulenten Szenarios auf das Schicksal weniger Menschen begrenzt, trägt Parallelen mit sich, deren Ursprung wohl in von Triers Depressionen wurzeln. Bereits vor der Veröffentlichung der beiden Filme habe der Regisseur unter der Krankheit gelitten, welche er nun in Form seiner Werke zu verarbeiten versuche, so von Trier. Die Depression und Melancholie war schon in "Antichrist" in der Rolle von Charlotte Gainsbourg ein fokaler Punkt, in "Melancholia" findet sich das Motiv nun wesentlich offensichtlicher und in mehrfacher Ausführung wieder.

Wie schon in seinem vorherigen Film verabschiedet von Trier auch bei "Melancholia" im Prolog die Grundsätze der Dogma-Bewegung und inszeniert eine ambige, traumähnliche, ja gar surreale Einleitung zu den wesentlich konventionelleren, anschließenden Teilen, in denen die beiden Hauptdarstellerinnen, Kirsten Dunst und Charlotte Gainsbourg, groß aufspielen dürfen. Doch auch in diesen Teilen spart von Trier nicht mit Metaphern. Besonders die Bezüge zur Malerei lassen großen Raum für Interpretation, so finden sich neben Bezügen zu Albert Dürers "Melencolia I" auch John Everett Millais' "Ophelia" und "Die Jäger im Schnee" von Pieter Bruegel dem Älteren im Film wieder. Um eine Bedeutungsebene wird "Melancholia" auch durch Richard Wagners "Tristan und Isolde" im Soundtrack erweitert, doch alles in allem wirkt der Film dadurch zu überladen. "Melancholia" versucht versteift opulent, üppig zu sein, schießt jedoch stellenweise am Ziel vorbei und wirkt viel eher prätentiös. Auch wenn von Trier es abermals gelingt über einige Passagen eine gewaltige Spannung mit unkonventionellen Mitteln aufzubauen und optisch Eindrucksvolles auf die Leinwand zu bannen, so trivial wirkt gleichzeitig das - im Kino zugegebenermaßen visuell umwerfende - Ende, wenn man es nicht wörtlich nimmt - und darum geht es doch schließlich bei Lars von Trier.