Montag, 25. April 2011

You saw nothing in Hiroshima.

Hiroshima mon amour -
Hiroshima, mon amour
(Alain Resnais, 1959)

Eine namenlose verheiratete französische Schauspielerin (Emmanuelle Riva) begibt sich für den Dreh ihres nächsten Films nach Hiroshima. Seit dem Ende des zweiten Weltkriegs ist bereits über ein Jahrzehnt vergangen, die furchtbaren Ereignisse, die jenes Endes nach sich führten, sind jedoch nach wie vor in die Gehirne der Menschen eingebrannt. Hiroshima ist im Bewusstsein jedes einzelnen geblieben, der Bombenabwurf lässt selbst Jahre später jeden Betroffenheit fühlen. Direkt am Ort des Schreckens erinnert sie, die Schauspielerin, sich an das Geschehe, wird mit dem konfrontiert, was sie damals - großteils medial - miterlebt hat. Das was sie gesehen hat, hat sie aus Museen, aus Dokumentarfilmen und einem Besuch im Krankenhaus der betroffenen Stadt. Im Beisein eines japanischen Architekten (Eiji Okada), mit dem sie eine Affäre begonnen hat, schüttet sie ihr Bewusstsein aus, erinnert sich an all das, was sie mit der Stadt Hiroshima verbindet, doch er relativiert ihre Erinnerungen. Nichts habe sie gesehen, erklärt er ihr, gar nichts. Er war am Tag des Atombombenabwurfs aufgrund seines militärischen Diensts nicht in der Stadt, seine Familie hätte das Fürchterliche jedoch miterlebt, teilt er ihr mit.
Als sie am folgenden Tag erklärt, dass sie bereits sehr bald wieder zurück in ihre Heimat nach Paris fliegen werde, versucht er sie umzustimmen. Er bleibt bei ihr, verbringt den Tag mit ihr, und versucht sie besser kennenzulernen, worauf sie ihm eine traumatische Episode aus ihrer Vergangenheit in der französischen Stadt Nevers schildert.

Resnais' "Hiroshima, mon amour" zählt neben Truffauts "Sie küßten und sie schlugen ihn" (1959) und Godards "Atemlos" (1960) zu den ersten und wichtigsten Vertretern der französischen Nouvelle Vague. Gleichzeitig handelt es sich bei "Hiroshima, mon amour" um Resnais ersten Versuch im Spielfilm Fuß zu fassen. Zuvor war er als Dokumentarfilmer tätig, der besonders mit "Nacht und Nebel" (1955), einer Dokumentation über die sogenannte Nacht-und-Nebel-Aktion der Nationalsozialisten im zweiten Weltkrieg, bei der Widerstandskämpfer verschwanden und in Konzentrationslager deportiert wurden, einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangte. "Hiroshima, mon amour" war zu Beginn ebenfalls als Dokumentarfilm konzipiert, Resnais Überzeugung, dass der Horror des Bombenabwurfs in filmischer Verarbeitung jedoch nicht begreifbar sei, war jedoch ausschlaggebend, dass dem Film noch eine fiktionale Ebene hinzugefügt wurde. Zwar arbeitet "Hiroshima, mon amour" anfangs mit realen Archivaufnahmen zu den Auswirkungen des Bombenabwurfs, jedoch geht dies nur fragmentarisch vonstatten, stets im Bezug zur fiktionalen Komponente des Films. So entstand mit "Hiroshima, mon amour" Resnais erster Spielfilm, lose nach dem Vorbild des Nouveau Roman orientiert, einer experimentellen Literaturform, die erzählerischen Grenzen der Kausalität, des Raums und der Zeit sprengten. Diese Anlehnung auf besagte literarische Gattung ist zurückzuführen auf Marguerite Duras, die oscarnominierte Drehbuchautorin des Films, welche sich bereits Jahre zuvor als Nouveau-Roman-Autorin einen Namen gemacht hatte. Zwei Jahre später folgte mit "Letztes Jahr in Marienbad" ein Film Resnais', der sich noch konsequenter an den Nouveau Roman anlehnte.

Aufgrund seiner eindrucksvollen Schnitttechnik und seines perfekten Einsatz von Rückblenden, deren fließendes Zusammenspiel mit der gegenwärtigen Komponente des Films besonders auffällt, zählt "Hiroshima, mon amour" zu den Mitbegründern der Nouvelle Vague. Besonders der Einsatz vom Match Cuts, welche in diesem Fall häufig Assoziationen der Protagonistin mit ihrer Vergangenheit andeuten, kennzeichnet Resnais' "Hiroshima, mon amour". 

Match Cut in "Hiroshima, mon amour"
Wiederholt deutet Resnais Verbindungen zwischen der Geschichte der Protagonistin und den Vorfällen in Hiroshima an. Die Vergangenheit der weiblichen Hauptfigur dreht sich um ihre Liebe zu einem deutschen Soldaten, für die sie von den Bewohnern der Stadt Nevers verstoßen wird. Man sperrt sie einen Keller, schneidet ihre Haare ab und hört nicht auch ihre Hilferufe. Besonders das Abschneiden der Haare erinnert an den Haarausfall als Reaktion auf die radioaktive Strahlung. Tatsächlich weist Resnais bereits zu Beginn des Films während des Monologs der Protagonistin auf besagte Reaktion in Form einer Archivaufnahme hin. Auch das Eingschlossensein im Keller stellt eine Parallele zur Nachwirkung des Bombenabwurfs dar, denn der Keller wirkt ähnlich zertrümmert, einengend, und düster wie das mögliche Innenleben einer Ruine. Auch das erste Bild des Films, die beiden Liebenden eingedeckt von Asche, stellt den Bezug zur Katastrophe her.

Erste Einstellung in "Hiroshima, mon amour"
"Hiroshima, mon amour" zu beschreiben, einzuordnen oder gar zu interpretieren, fällt schwer, da er sich nicht nach filmischen Konventionen richtet, keine Geradlinigkeit aufweist und selbst die Thematik nicht vollkommen klar hervorgeht. Die Liebesgeschichte zwischen den beiden Protagonisten ist mehr als nur eine Liebelei, am deutlichsten wohl spürbar in der Tatsache, dass die beiden - wie schon die Hauptfiguren in "Letztes Jahr in Marienbad" - keine Namen tragen. Resnais außergewöhnliches Schaffen bleibt unbegreiflich vielseitig, so auch "Hiroshima, mon amour", wobei die Kritik der "Der Spiegel"-Ausgabe 18/1960 den Film wohl am besten beschreibt:
"'Hiroshima, mon amour' ist gefilmtes Bewußtsein."

8 Kommentare:

  1. Den wollt ich auch besprechen. Aber nach Fukushima, ja, war ich mir nicht sicher, ob ich das so passen finden würde.

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  2. @ Anthony: Ja, ich kann das verstehen, war mir selbst nicht ganz sicher, hab's dann allerdings doch gewagt.

    Marguerite Duras' Großneffe arbeitet momentan übrigens an einem Sequel zu "Hiroshima mon amour", das "Fukushima mon amour" heißen soll.

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  3. Nie könnte eine Besprechung des Films passender sein als jetzt! Es ist an der Zeit, dass die Menschen dem ausgesetzt werden, was sie heute scheinbar so gut in der Hand haben, weil sie zu faul sind, erneuerbare Energien für Strom einzusetzen (übrigens: eine rechtspopulistische Partei der Schweiz verkündet schon, wir würden ein KKW weniger brauchen, wenn wir nicht so viele Ausländer hätten).

    Ich sah "Hiroshima mon amour" vor langer Zeit und war damals gar nicht in der Lage, ihn in seiner Grösse einigermassen zu erfassen. Du, lieber Samsa, verlockst mich zu einer erneuten Sichtung, wofür ich dir herzlich danken möchte.

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  4. @ Whoknows: Auch wenn ich diesen Appell in meiner Besprechung nicht unbedingt einfließen lassen wollte, kann ich dir natürlich nur zustimmen. Es ist Zeit, dass sich etwas ändert.

    Ich muss gestehen, dass ich meine persönliche filmhistorische Terra incognita "Resnais" schon unlängst erschließen wollte, und nun endlich nach und nach dazu komme. "Hiroshima mon amour" hab ich mir vor kurzem noch ein zweites Mal angesehen, da ich die Genialität beim ersten Ansehen bei weitem nicht vollständig erfassen konnte. Freut mich, wenn ich dich ebenfalls anregen konnte!

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  5. Du fasst den Film und seine historische Bedeutung sehr prägnant zusammen, sodass es mir doch etwas leidtut, dass du dich beim interpretatorischen Teil oder auch nur den persönlichen Momenten so zurückhälst. Ein Blogreview ist doch keine filmgeschichtliche Analyse mit Ewigkeitswertung. Die eigenen Einschätzungen dürfen sich mit der Zeit ruhig ändern. Und wenn du mit Resnais erst beginnst - warum nicht einen ersten Eindruck bringen? Deine zurückhaltende Art in allen Ehren, es soll auch kein Vorwurf sein, aber deine Analyse zeigt doch, dass dein Urteil auf sicherem Grund stehen würde. Ich würde gerne mehr lesen :)

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  6. @ Sieben Berge:
    Danke für die Kritik und die Anregung. Du hast wohl recht, dass ich mich in diesem Falle sehr zurückgehalten habe. Ich werde die Besprechung eventuell noch etwas verlängern, wobei ein erster Eindruck bezügl. Resnais ohnehin im Zuge einer - hoffentlich - baldigen Sichtung von "Muriel" (1963) erfolgen wird. Auf jeden Fall danke für die Anregung, ich verspreche, dass es in Zukunft generell mehr zu lesen geben wird :)

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  7. Ich habe schon Verständnis dafür, sich bei diesem Film nicht zu tief ins Gestrüpp der Interpretation zu begeben. Einerseits ist er so vielschichtig, dass man sich dabei leicht etwas verlaufen kann, andererseits wurden HIROSHIMA MON AMOUR und LETZTES JAHR IN MARIENBAD schon so ausgiebig interpretiert, dass man als normalsterblicher Filmfreund garantiert nichts neues oder originelles mehr hinzufügen kann. Wenn ich einen Film von Resnais besprechen würde (was ich in nächster Zeit nicht vorhabe), würde ich wahrscheinlich DER KRIEG IST VORBEI nehmen - immer noch ein anspruchsvoller Film, aber viel leichter fassbar.

    Aber wenn man sich in die Interpretation wagt, ist es sicher eine gute Idee, die ersten drei Spielfilme zusammen zu betrachten, weil sie einige Themen gemeinsam haben. Auch bei MURIEL ODER DIE ZEIT DER WIEDERKEHR spielt die (Re-)Konstruktion der Erinnerung eine Rolle. Gleichzeitig macht er aber einen Schritt ins Politische (in Gestalt des Algerien-Kriegs), was sich dann mit DER KRIEG IST VORBEI und Resnais' Beteiligung am Anti-Vietnamkriegsfilm FERN VON VIETNAM fortsetzt, den sein Freund und Rive Gauche-Kollege Chris Marker initiiert hatte. MURIEL gibt es übrigens gerade im Sonderangebot bei Masters of Cinema.

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  8. @ Manfred Polak: Ja, "Hiroshima mon amour" macht es einem wirklich etwas schwer, ich möchte allerdings nach der Sichtung von "Muriel oder die Zeit der Wiederkehr" noch einmal auf ihn zurückkommen. In diesem Sinne danke ich dir für den Hinweis auf das Sonderangebot!
    "Der Krieg ist vorbei" wird bestimmt auch noch geschaut, aufgrund der immensen Wirkung der beiden von mir bisher gesichteten Resnais ziehe ich ohnehin in Erwägung, bei Gelegenheit seine ganze Filmographie nachzuholen.

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