Samstag, 29. Januar 2011

One's name doesn't matter.

L’Année dernière à Marienbad
Letztes Jahr in Marienbad
(Alain Resnais, 1961)

In einem luxuriösen Hotel, angesiedelt an einem unbekannten Ort, treffen sich  zahlreiche Vertreter der obersten gesellschaftlichen Schicht zu einer Festivität, deren Anlass und Veranstalter unbekannt bleiben. Die Herberge ist nobel, geprägt durch ihren barocken Baustil, die Gänge sind verworren, ein einziges Labyrinth, und in den langen Korridoren, den üppigen Suiten und geräumigen Sälen hängt diese unsagbar beunruhigende Stille, ja selbst die Anwesenheit der Gäste hält den Lärmpegel tief, in diesem Gefühl der Beobachtung und Verwirrung, ausgestrahlt durch dieses altehrwürdige Ambiente. Ein mysteriöser Mann (Giorgio Albertazzi) entscheidet sich eine hübsche Dame (Delphine Seyrig) anzusprechen, in der Gewissheit sie ein Jahr zuvor in Marienbad kennengelernt zu haben. Sie seien damals verliebt im dem Versprechen auseinandergegangen, sich in einem Jahr wiederzusehen, versucht er sie an damals zu erinnern, doch sie weiß von nichts, scheint das Geschehene verdrängt zu haben, oder spielt ihrem Gegenüber zumindest vor, ihn nie gesehen zu haben. Hartnäckig versucht er, sie an das Treffen im Vorjahr zu erinnern, erzählt ihr was geschehen sei, worüber sie gesprochen und wie sich wiederholt durch Zufälle getroffen haben. Ein zweiter Mann (Sacha Pitoëff) scheint ebenfalls fasziniert von der vergesslichen Dame zu sein. Er ist ein geschickter Hasardeur, präsentiert den anderen Gästen sein selbsterfundenes Spiel, aus dem er stets siegreich hervorgeht, sich als dominante Figur etablierend. Aus den Erzählungen und Erinnerungen des ersten Mannes rekonstruieren sich scheinbar die wahren Begebenheiten der Vorfälle in Marienbad, sie werden jedoch nur bedingt aufgelöst, kryptisch chiffriert in Resnais' enigmatischem Erzählstil.

Geprägt von der modernen französischen Literatur, insbesondere des Nouveau Roman erzählt Resnais eine Geschichte, befreit von den einengenden Grenzen der Kontinuität, der Zeit, des Raums und des Zusammenhangs zwischen den episodisch eingefangen Szenen. Er verzichtet auf die eindeutige Etablierung des handelnden Ichs, des apodiktischen Subjekts, ein Kunststück, wenn man bedenkt, dass sich durch die Voice-over-Erzählung des ersten Mannes die Festlegung als Handelnden bereits erübrigt haben sollte. Doch diese Begleitkommentare sind meist abstrus, wiederholen sich und berichten von obskuren Begebenheiten, von denen der Erzähler nicht Bescheid wissen beziehungsweise, die er nur vage annehmen kann. Und trotzdem präsentiert uns Alain Resnais diese Berichte des Mannes, so unklar sie oft auch sein oder sich gar widersprechen mögen, als fest umrissene Wahrheit, indem er sie uns filmisch vor Augen führt, uns somit die Entscheidung nehmend, wer in der Ausgangssituation nun eigentlich die Wahrheit sagt und wer sich irrt, die Dame oder der Mann.

Dass "Letztes Jahr in Marienbad" in erster Linie allegorisch zu verstehen ist, offenbart sich früh. Die Hautpfiguren haben keine Namen, und wie im Film mehrmals erwähnt wird, sei der Name auch nicht wichtig. Selbst die Charaktere scheinen ihre gegenseitigen Identitäten nicht wirklich zu kennen. Sie sind quasi keine selbstständigen Persönlichkeiten, sondern dienen in ihrer Geschichte nur als Beispiel, als Metapher für die Liebe, geprägt durch Lügen, Falschaussagen, Verheimlichungen, den Bruch von Versprechen, das Vergessen und den Verlust der Kommunikation. Ein einseitiger Dialog also, um jemanden von einer Tatsache zu überzeugen, deren Richtigkeit wir Zuseher nicht beschwören können.

Außerdem ließe sich Resnais 1961 erschienener Film auch als Kritik auf das sinnfreie Treiben der gesellschaftlich höhergestellten Schicht verstehen. In diesem Punkt ließe er sich durchaus mit Luis Buñuels surrealistischem Klassiker "Der Würgeengel" über den theoretischen Zerfall der Zivilisation vergleichen, denn als Ausgangspunkt wählt auch er eine Festlichkeit der überheblichen Upper-Class, die sich später mit dem Problem konfrontiert sieht, einen Raum trotz geöffneter Durchgänge nicht verlassen zu können. Auch stilistisch lassen sich zwischen den beiden Filmen Ähnlichkeiten feststellen, so wird die repetitive Erzählform als Stilmittel eingesetzt, um den surrealistischen Anteil des Films zu verdeutlichen. Auch kameratechnisch sind sich "Letztes Jahr in Marienbad" und "Der Würgeengel" nicht ganz unähnlich in ihrer Wirkung. In Resnais Film vermittelt die Kamera besonders ein Gefühl der Verwirrung durch langsame Kamerafahrten, die leeren Flure durchstreifend, und durch ein Gefühl der Bedrohlichkeit der scheinbar unbeteiligten Gäste, deren Blicke direkt und bedeutend sind, von den Hauptfiguren selten abweichend. In Buñuels Fall dient die Kamera ebenfalls, um gezielt die Desorientierung und Hilflosigkeit der Charaktere hervorzuheben, meist fotographiert vom Ende des leeren, angrenzenden Raumes, dessen Betreten für die Figuren eine Unmöglichkeit darstellt. Später artet diese Hilflosigkeit in Verzweiflung und Denunzationen aus, welche Buñuel ähnlich einfängt, wie Resnais die befremdlichen Blicke der Unbeteiligten.

"Letztes Jahr in Marienbad" ist ein surrealistischer, allegorischer Film, der sich über die Regeln von Raum, Zeit und Kausalität hinwegsetzt. Besonders die Zeit scheint im Laufe des Films durch den herausragenden Schnitt Jasmine Chasneys  und Henri Colpis, seine Bedeutung vollständig zu verlieren, doch das sollte einen nicht wundern, denn Resnais hat einmal gesagt:
"The present and the past coexist, but the past shouldn't be in flashback."

2 Kommentare:

  1. Ein interessanter Vergleich! Obwohl Buñuels "Der Würgeengel" zu den Filmen zählt, die mir einst am meisten "einfuhren", bin ich nie auf die Idee gekommen, Ähnlichkeiten mit Resnais zu erkennen. Könnte daran liegen, dass ich mich zu sehr auf das "Mexikanische", das vielleicht weniger Kalte des Films konzentrierte. Ich muss dir aber zustimmen.

    Ein spannender Anfang eines vielversprechenden Blogs! ich werde dich wohlwollend im Auge behalten.

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  2. Ja, der Vergleich lässt sich natürlich nur stellenweise anstellen, zum einen schon, da "Der Würgeengel" in ein anderes Genre einzuordnen ist. Und letzten Endes divergieren Buñuels Film und Resnais Film in Sachen Thematik auch deutlich, doch durch die Ästhetik von "Letztes Jahr in Marienbad" fühlte ich mich stark an "Der Würgeengel" erinnert.

    Vielen Dank!

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