Donnerstag, 27. Januar 2011

Art is born out of an ill-designed world.

Сталкер - Stalker
(Andrej Tarkovskij, 1979)


Ganz am Rande einer namenlosen Stadt befindet sich ein sagenumwobener Ort, der weitreichend als die "Zone" bekannt ist. Ihre Entstehung ist ein Mysterium, die Theorien reichen vom Besuch extraterrestrischen  Lebens bis hin zu einem Meteoriteneinschlag, der die Zone geprägt haben soll. Der "Stalker"  (Alexander Kajdanowski) verdient sein Geld damit, Menschen illegal in die Zone zu führen und sie dort in einen Raum zu geleiten, dem nachgesagt wird, er würde des Besuchers innigste Wünsche erfüllen. Die Zone ist ein tückischer Ort, der scheinbar sogar über einen Verstand zu verfügen scheint, und so auf seine Eindringlinge reagiert, ihnen, seine Erscheinung stets verändernd, Fallen stellt, um so ihr Vorankommen zu erschweren, oder sie im Extremfall in den Tod zu leiten. Der Stalker arbeitet mit Tricks, um diese Fallen zu umgehen, respektiert jedoch diesen mystischen Ort, ängstigt sich gar ehrfürchtig vor ihm. Zusammen mit zwei namenlosen Kunden, der eine ein inspirationsloser Schriftsteller (Anatoli Solonizyn), der andere ein alternder Professor (Nikolai Grinko), begibt sich der Stalker in die Zone. Beide Begleiter sehnen sich nach dem Raum, der Wünsche zu erfüllen scheint, doch ihre Erwartungen und ihre Motivationen bezüglich des Raumes divergieren, während sie sich auf ihrer Reise ihrer selbst nicht mehr sicher werden und ihre jeweiligen Anschauungen der Welt und der Menschheit gegenüber zu bezweifeln beginnen.

Interessanterweise wird "Stalker" oftmals vorgeworfen kein richtiger Science-Fiction-Film zu sein. Er wäre zu verträumt, zu kryptisch, und in seiner Machart science-fiction-untypisch heißt es oft. Tatsächlich jedoch ist "Stalker" Science-Fiction in destilliertester Form, eine kritische Zukunftsvision, die zwar auf Effekte vollständig verzichtet und somit den durchschnittlichen Sehgewohnheiten in diesem Genres widerspricht, jedoch in seiner Kritik, seinen philosophischen Grundgedanken und Fragen bezüglich der Zone den essentiellen Part eines Vertreters dieses Genres erfüllt. Nach dem Motto "Was wäre, wenn in der Zukunft ..." stellt "Stalker" das Grundgerüst, seine Rahmenhandlung über die, unter unbekannten Umständen entstandene, Zone auf, und konfrontiert die Eindringlinge mit der furchteinflößend subtilen Gefahr, die sie ausstrahlt. Denn der Mensch erkennt erst in Lebensgefahr die Abgründe seines Denkens, seiner Seele.

Im Grunde plakativ verweigert Tarkovskij seinen Figuren, Namen anzunehmen. Schriftsteller und Professor, so nennen sich die beiden Kunden gegenseitig und repräsentieren so jeweils einen Teil der Menschheit. Der eine sucht nach Inspiration, ist der gefühlsbetonte Künstler, während der andere rational denkt, von Gefühlen weitgehend unbeeinflusst, ein Wissenschaftler eben, der versucht zu verstehen und zu analysieren, was ihn umgibt. Zwischen ihnen ein Diskurs über die Menschheit, über den Sinn des Lebens und schlicht über das Sein.

An einer Stelle in "Stalker" erklärt der Schriftsteller, dass ein Mensch wie er schreibe, da er gequält sei, da er zweifle. Er stellt sich selbst die Frage, was sein würde, wenn man von sich selbst wüsste, ein Genie zu sein. Welchen Grund hätte man weiterzuschreiben? In diesem kurzen Monolog erkennt man Tarkovskijs Handschrift deutlich wieder, denn wie er einmal gesagt hat:
"An artist never works under ideal conditions. If they existed, his work wouldn't exist, for the artist doesn't live in a vacuum. Some sort of pressure must exist. The artist exists because the world is not perfect. Art would be useless if the world were perfect, as man wouldn't look for harmony but would simply live in it. Art is born out of an ill-designed world."
Was "Stalker" letztlich wohl zum Meisterwerk macht, ist seine überwältigend symbolische Bildsprache, die Grenze zwischen Realität und Surrealität verwischend. Sequenzen in Schwarz-Weiß, Sepia und Farbe wechseln sich spielerisch ab, deuten abgegrenzte Ebenen an, ohne diese jedoch je klar in ihren Zusammenhängen aufzulösen. Verträumte, mehrminütige Einstellungen und bildliche Traumsequenzen im Einklang, ein optischer, wenn auch anspruchsvoller Genuss.

Ein Mysterium ist nicht nur die Zone im Film, auch die Schaffensgeschichte von "Stalker" selbst ist außerordentlich. Ein epochales Unterfangen quasi, angefangen bei bis zu neun Drehbuchfassungen, die die Brüder Strugazki, deren Roman "Picknick am Wegesrand" als inspirativer Grundstein zu "Stalker" genannt wird, ausarbeiteten, um Andrej Tarkovskijs hohen Ansprüchen gerecht zu werden. Erst spät zeigte sich Tarkovskij mit dem Skript zufrieden und drehte seinen Film. Die erste Fassung wohlgemerkt, denn die Originalversion des Films wurde durch einen Fehler bei der Entwicklung vollständig zerstört, behaupten zumindest einige Quellen. Andere wiederum bezeugen, Tarkovskij habe aus Unzufriedenheit und Wut die Originalfassung absichtlich zerstört. Fakt ist, dass sich der Regisseur an einen neuen Kameramann, Alexander Knjaschinski, wandte, um sein Werk abermals zu drehen. "Stalker" wurde vollendet, kam in die Kinos, doch die Nachwirkung des Film war nicht nur von rein künstlerischer Natur, denn ein  Teil der Crew erkrankte im Verlauf der nächsten Jahre, wahrscheinlich ausgelöst durch giftige Dämpfe und Chemikalien am Hauptdrehort in Tallinn, an Krebs und verstarb. Wie sich der Sounddesigner von damals, Vladimir Sharun, Jahre später zu den Dreharbeiten äußerte: 
"We were shooting near Tallinn in the area around the small river Pirita with a half-functioning hydroelectric station. Up the river was a chemical plant and it poured out poisonous liquids downstream. There is even this shot in Stalker: snow falling in the summer and white foam floating down the river. In fact it was some horrible poison. Many women in our crew got allergic reactions on their faces. Tarkovsky died from cancer of the right bronchial tube. And Tolya Solonitsyn too. That it was all connected to the location shooting for Stalker became clear to me when Larisa Tarkovskaya died from the same illness in Paris."
1995 verstarb auch Hauptdarsteller Kajdanowski an Krebs und fügte so dem tragischen Erbe des Films "Stalker" ein weiteres Kapitel hinzu. Und traurigerweise hat sich Tarkovskijs oben genanntes, ungewollt zweideutiges Zitat bewahrheitet. In seinem Fall leider in extremster Form. Seiner Meinung nach arbeitet ein Künstler nie unter perfekten Bedingungen, denn letztlich ist die Kunst "born out of an ill-designed world".

2 Kommentare:

  1. Sehr schöner Text, und er macht Lust, sich STALKER mal wieder anzuschauen. Vielen Dank dafür.

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  2. Vielen Dank. Freut mich wenn ich dich zu einer eventuellen Sichtung anregen konnte. Persönlich zähle ich "Stalker" mittlerweile fraglos zu meinen Lieblingsfilmen.

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