Sonntag, 30. Januar 2011

Pursuit of perfection.

Black Swan
(Darren Aronofsky, 2010)

Unter der Choreografie Thomas Leroys (Vincent Cassel) will ein junges New Yorker  Ballettensamble Tschaikowskis legendären "Schwanensee" in einer nie dagewesenen Form einstudieren: Die beiden Hauptrollen des Stücks, den weißen und den schwarzen Schwan, soll ein und die selbe Tänzerin verkörpern. Die langjährige Solotänzerin des Ensembles, Beth MacIntyre, stößt seitens der Verantwortlichen auf Ablehnung bezüglich weiterer Solorollen, wird gefühlskalt in den Ruhestand abgeschoben, wodurch sich für die aufstrebenden Tänzerinnen die Möglichkeit bietet, erstmals auf der großen Bühne ins Rampenlicht zu treten. Nina Sayers (Natalie Portman), eine ambitionierte Tänzerin, hilflos fixiert auf die makellose Ausführung ihrer Technik, zählt zu den heißesten Anwärterinnen auf die Doppelrolle, für die unter anderem auch Lily (Mila Kunis) vortanzt, eine Ballerina, erfüllt von Lebenslust, ein frischer Freigeist, der sich schlicht treiben lässt, als Gegenstück zu Nina agierend. Trotz eines scheinbar verpatzten Vortanzens gelingt es Nina den Choreografen durch ihre verbissene Überzeugungskraft umzustimmen, und die Rolle zu ergattern. Was folgt ist ein Sturz in einen schwindelerregend tiefen Abgrund, geformt durch den Druck der herrisch autoritären Mutter (Barbara Hershey), des unzufriedenen Choreografen, der konkurrierenden Tänzerinnen und letztlich geprägt durch die selbst angelegten Fesseln im stetigen Streben nach Perfektion.

Bereits beim diesjährigen Filmfestival von Venedig stieß Darren Aronofskys "Black Swan", der als Eröffnungsfilm die Festspiele einleiten durfte, auf den überraschenden Beifall der Masse, die ihn großteils positiv empfinge während sich die Jury im Rennen um den Goldenen Löwen für Sofia Coppolas "Somewhere", ein grandioses Portrait des eintönigen Schauspieleralltags,  entschied, der jedoch der fantastischen Komplexität oder der unsagbar intensiven Wirkung eines "Black Swan" nicht ganz Paroli bieten kann.

Ein beliebtes Motiv in Aronofskys Filmen ist der sowohl seelische als auch körperliche Zerfall des Menschen, der meistens innerhalb des Films in zunehmend extremerer Form aufsteigt, in einer Eruption unglaublicher Intensität oder gar in einer aussichtslosen Agonie resultierend. Darauf basierend reiht sich "Black Swan" in Aronofskys Filmographie nahtlos ein, doch andererseits lässt er sich darin auch so gar nicht einfügen, sticht heraus, denn rein stilistisch erfindet sich Aronofsky in jedem seiner Filme neu. Seine Inszenierungen und vor allem die so perfekt durchdachten Stilmittel variieren, sodass sich kein deutlicher Trend in seinem Schaffen ausmachen lässt. Denn zum einen sind zum Beispiel die Parallelen zwischen "Black Swan" und dem 2008 erschienenen, wesentlich konventionelleren "The Wrestler" unübersehbar, bedienen sich doch beide einer massenuntypischen Sportart als Aufhänger ihrer Handlungen, thematisieren die körperlichen Qualen die unter einer Decke des Schauspiels versteckt werden und durchleuchten den Konkurrenzkampf, der sich oft hinter den Kulissen abspielt, doch andererseits divergieren die Richtungen der Filme in dramatischer Form. In beiden Fällen handelt es sich in den Sportarten um Aufhänger, Startpunkte, denn im weiteren Verlauf könnten die beiden Filme unterschiedlicher kaum sein.

"Black Swan" ist ein Film gefüllt mit Symbolismen, mit Doppeldeutigkeiten, zwischen ihnen der "Schwanensee", der mehr zu sein scheint, als nur ein Ballett. Kontrastierende Farben dominieren das Bild, die Figuren sind nicht alle Menschen, ihr Handeln nicht menschlich, sie werden zunehmend zu Figuren eines Stücks. Wahrheit und Realität verschwimmen, Persönlichkeiten scheinen ihr Innerstes, ihre Identität, zu verlieren, verstärkt durch ein scheinbar ewiges Spiegelkabinett, das die Kamera zu durchstreifen scheint. Matthew Libatiques Kameraarbeit könnte passender nicht sein, eingebaut in die Choreografie wird er zum Tänzer, und der Film zum Ballett, das unbeschwert zwischen Close-Ups und Medium Shots wechselt, die Grenze zu größeren Einstellungen nur selten brechend.

Mit "Black Swan" hat Darren Aronofsky einen dicht inszenierten Psychothriller geschaffen, der nicht nur durch seine gehuldigten schauspielerischen Leistungen an Genialität grenzt, sondern durch seine subtile Mehrdeutigkeit eine ganze Reihe von Interpretationen zulässt, seine Vielschichtigkeit erst darin vollständig offenbarend. So harsch das Streben nach Perfektion in "Black Swan" auch kritisiert werden mag, und so sehr Aronofsky beschwört, Filme zu Unterhaltungszwecken zu machen,  stets seiner Leidenschaft folgend, lässt sich zwar das Streben verneinen, doch dass er sie irgendwann unbewusst, oder gar ungewollt erreicht, kann ihm niemand ausschlagen. Sie, die Perfektion.

3 Kommentare:

  1. Sehr schöner Text, schon wieder eine Übereinstimmung: Lange saß ich nicht so angespannt und fasziniert zugleich im Kino, "Black Swan" ist tatsächlich ganz nah an der Perfektion. Bei mir steht ebenfalls eine Besprechung an, die mir besonders schwer fällt, weil ich auch 1 1/2 Wochen später noch nach Worten ringe.

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  2. Freut mich, wenn ich da nicht allein bin. Ja, bei mir hat es auch eine weitere Sichtung gebraucht, um das einerseits halbwegs in Worte fassen zu können und andererseits auch, um wirklich zu verstehen, wie grandios "Black Swan" nicht nur in seiner Wirkung sondern auch in seiner Machart, der Inszenierung und ganz besonders der Kameraführung ist. Mit Sicherheit einer der besten Filme, die ich je im Kino gesehen habe. Und bin am überlegen in diesem Satz das "im Kino" wegzustreichen. Großartig.

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  3. "verbissene Überzeugungskraft" ... sehr nett formuliert ... ;) ... überhaupt stimme ich vielfach zu, genialer Film!!

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