Sonntag, 17. April 2011

Der sichtbare Teil des Himmels.

Das weisse Rauschen
(Hans Weingartner, 2001)

Das ländliche Dorf, in welchem Lukas (Daniel Brühl) sein gesamtes Leben verbracht hat, beginnt den jungen Maturanten anzuöden, die Chancen dort etwas aus sich zu machen, sind zu klein, er strebt Größeres an. Seine ältere Schwester Kati (Anabelle Lachatte) hat einst das Selbe durchgemacht und ist infolge ihres erfolgreichen Abschlusses nach Köln gezogen, wo sie nachwievor lebt und studiert. Um ihrem Bruder, der nach dem Suizid der Mutter zusammen mit dem Vater das Haus der gemeinsamen Kindheit bewohnt, aus den Fesseln des philiströsen Lebens der Kleinstadt zu befreien, bietet Kati ihm an, bei ihr und ihrem Freund Jochen (Patrik Joswig) einzuziehen und in Köln ein Studium aufzunehmen. Lukas nimmt die Offerte an. Von der ländlichen Umgebung geprägt, präsentiert sich Köln für den Abiturienten als hektischer Hexenkessel. Dröhnender Baustellenlärm, stockender Verkehr, Stress und ein reges Nachtleben. Im Beisein seiner Schwester und ihres Freundes greift er das erste Mal zu Drogen und verbringt die Nacht  im Vollrausch mit seinen beiden Mitbewohnern. Im Zuge dessen verliert  Lukas den Halt. Der Traum, sich ins Gefüge der Universität einzuleben, misslingt, dennoch bleibt er in Köln, wo er auf einer Party Annabell (Katharina Schüttler) kennenlernt. Er lädt sie ins Kino ein, wo sich die beiden Scorseses "Taxi Driver" ansehen wollen, als sie an der Kasse jedoch erfahren, dass besagter Film an jenem Abend gar nicht gezeigt werden würde, rastet Lukas vor seinem Date aus, beginnt zu randalieren und bewegt seine Begleitung dazu vor ihm zu fliehen. Lukas' Verhalten wird zunehmend aggressiver und gipfelt nach dem Konsum psychoaktiver Pilze in einer hysterischen Attacke, in der der junge Mann erstmals Stimmen in seinem Kopf hört, die ihn fortan immer häufiger traktieren.

Der österreichische Regisseur Hans Weingartner studierte ursprünglich Physik in Wien, stieg jedoch bereits nach einem Jahr auf das Studium der Neurowissenschaften um, welches er 1997 erfolgreich im Berlin abschloss. Während seines Studiums in Wien ließ er sich zwischen 1993 und 1994 zum Kameraassistenten ausbilden, was ihm 1995 zugute kam, als er als Produktionsassistent für Richard Linklaters "Before Sunrise" (1995) arbeiten und sogar einen Kurzauftritt absolvieren durfte. 1997 ging er nach Köln, wo er auf der Kunsthochschule für Medien Köln bis 2000 studierte und mit "Das weisse Rauschen" seinen ersten Spielfilm ablieferte, der gleichzeitig als Absolventenfilm diente, und bei zahlreichen Festivals Preise abräumte. Seinen Status als talentierten jungen Filmemacher festigte der Österreicher in den darauffolgenden Jahren mit "Die fetten Jahre sind vorbei" (2004), "Free Rainer" (2007) und "Gefährder", welcher ein Teil des deutschen Kurzfilmprojekts "Deutschland 09" war.

"Das weisse Rauschen" kennzeichnet sich - wie mit Abstrichen auch die späteren Werke Weingartners - durch seinen minimalistischen Stil, welcher hier im Gegensatz zu seinen aktuelleren Filmen jedoch zwingend war. Das Budget von knapp über 40.000 Mark ließ dem damals 31-jährigen keine andere Wahl, als den Film ganz im Stile des Dogma 95 mit einer (digitalen) Handkamera zu drehen. Selbstredend beschritt Weingartner in seinem Debütfilm kein unbekanntes Terrain, denn durch seine Arbeit auf dem Sektor der Neurologie bot sich die Schizophrenie als vertrautes Thema und perfekte Vorlage an. Tatsächlich gelingt es dem Film bereits durch seine kamerabedingt befreite Wirkung jene Materie viel bedrückender darzustellen als wesentlich prominentere Filme wie zum Beispiel "A Beautiful Mind" (Ron Howard, 2001). Bereits in einem Zitat der Hauptfigur aus dem Off fasst sich Weingartners Film in seiner Botschaft selbst zusammen: 
"Für die Ärzte war ich schizophren, für die meisten anderen einfach nur ein Spinner. Mir war das eigentlich egal, wie die Leute mich nennen. Wonach ich suchte, das war ein Leben, das ich führen kann."
Auch Daniel Brühl, dessen Karriere durch "Das weisse Rauschen" erst so richtig in Fahrt kam, muss man loben, sein Spiel stellt die resistente Stütze des Films dar. In manchen Punkten erkennt man jedoch deutlich, dass es sich bei "Das weisse Rauschen" um einen Debütfilm haltet. So schleichen sich hier und da kleinere und größere Continuity-Ungereimtheiten ein und auch im Drehbuch finden sich Unklarheiten, wie zum Beispiel in der Kindheit des Geschwisterpaars mit seinen Eltern. Was dem Film ebenfalls etwas schadet ist der Versuch eine Verbindung zwischen der Schizophrenie und dem Spirituellen herzustellen. Der Film bringt den Pfad der Erleuchtung zur Sprache und erklärt die Bedeutung des "Weissen Rauschens" als Sammlung "aller Visionen, aller Menschen, aller Zeiten in einem Augenblick". Außerdem sei es "der ultimative Trip". Diese Darstellung der Schizophrenie als metaphysisches, transzendentes Erlebnis erschwert den Zugang zum Film auf unnötige Art und Weise.

"Das weisse Rauschen" ist dennoch ein couragierter Film, der auf den Druck, der auf schizophren-psychotischen Patienten lastet, aufmerksam macht, und durch einen Bruch der vierten Wand am Ende des Film auch einen angenehm appellierenden Nachgeschmack beinhaltet.

2 Kommentare:

  1. Also das Budget war aufgrund der Berufstätigkeit als Ärztin in den ersten zwei Praktischen Jahren von Annabell Lachatte vorhanden, und die Kammera echt Professionel ! Auch die ganzen Dreharbeiten absolut Stabsgerecht, von der Einbindung jedes einzelnen Schauspieler , lautsprecherdurchsagen Maz und Nachbearbeitung ... Von Kleiner Hobbykammera kann da wirklich keine Rede sein , weil das aber möglich ist, und Auch nennenswerte Ergebnisse erzeugt, kommt ja eine im Film vor , als Inspiration ;

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