Montag, 22. August 2011

Innocence and white flowers...

Letter from an Unknown Woman
Brief einer Unbekannten
(Max Ophüls, 1948)

Im Wien um 1900 kehrt der Konzertpianist Stefan Brand (Louis Jourdan) nur wenige Stunden vor einem bevorstehenden Duell, dessen Anlass ihm schleierhaft ist, nach Hause zurück und bereitet sich auf seine Flucht vor, in der Erwartung der Herausforderung nicht gewachsen zu sein. Vor dem Verlassen der Stadt wird Stefan jedoch ein scheinbar an ihn adressierter, mehrseitiger Brief übergeben, welcher mit den Worten "By the time you read this letter, I may be dead" beginnt. Gefesselt von den ersten Zeilen entschließt sich Stefan den gesamten Brief zu lesen, auch wenn ihm nicht klar wird, wer die Verfasserin der Nachricht sein könnte. Im Brief erzählt die mysteriöse Unbekannte, die den Namen Lisa Berndl (Joan Fontaine) trägt, wie sich später herausstellt, von ihrem Leben, angefangen von ihrer ersten Begegnung mit Stefan, als sie im zarten Alter von fünfzehn noch im selben Gebäude wohnte wie der Pianist. Sie berichtet von ihrer Faszination von Stefans Musik, der sie, im Innenhof des Gebäudes sitzend, regelmäßig gelauscht hat. Es ist der Brief einer verzweifelten Frau, die sich unsterblich in einen Mann verliebt hat. Doch die Vergangenheit der beiden ist dichter verwoben, als es die eröffnenden Zeile des Briefes erahnen lassen, auch wenn Stefan anfangs die Erinnerungen nicht in seinen Kopf zu rufen vermag.

"Letter from an Unknown Woman" basiert auf Stefan Zweigs Novelle "Brief einer Unbekannten" aus dem Jahr 1922 und war die erst zweite Regiearbeit Ophüls' in den USA. Max Ophüls, geboren Maximilian Oppenheimer, war bereits 1933 als Sohn eines jüdischen Textilkaufmanns aus Deutschland geflohen, zuerst für neun Jahre nach Frankreich, danach, ab 1942, in die USA. Bereits während seiner Zeit in Deutschland und Frankreich machte er sich einen Namen als Regisseur hervorragender Literaturverfilmungen, so brachte er 1931 "Dann schon lieber Lebertran", nach einer Vorlage Erich Kästners, 1933 "Liebelei", nach einem Werk Arthur Schnitzlers und 1938 "Werther", basierend auf Goethes "Die Leiden des jungen Werthers" auf die Leinwand. "Letter from an Unknown Woman" hebt sich aus den restlichen Hollywood-Filmen Ophüls' deutlich hervor, da er sich auf die Stärken seiner wesentlich sinnlicheren europäischen Filme beruft, denn Ophüls griff mit der Flüchtigkeit und Vergänglichkeit der Liebe ein Thema wieder auf, welches sich durch seine frühen Filme bereits als Markenzeichen etabliert hatte. 

Die Tragik im "Letter from an Unknown Woman" findet sich darin, dass die Handlung des Films zum größten Teil in der Vergangenheit spielt, und somit der Eingriff ins Geschehen für den Protagonisten nicht mehr möglich ist. Man fühlt sich durchaus an Goethes "Die Leiden des jungen Werthers" erinnert, da die Form des Briefromans einen ähnlichen Effekt hervorruft: Das Vergangene bleibt vergangen, es lässt sich nicht mehr ändern. Besonders mit der Einleitung ihres Briefes stellt Lisa in "Letter from an Unknown Woman" klar, dass die Geschichte bereits abgeschlossen ist, sie Stefan jedoch vor ihrem Tod noch ihr Herz ausschütten muss. Durch die einseitige Betrachtungsweise des Geschehenen - immerhin erfahren wir nur Lisas Geschichte - bleibt auch unklar, inwiefern die Ausführungen Lisas der Wahrheit entsprechen. In vielen Momenten scheint sie in einer Traumwelt gelebt zu haben, in einem Märchen, als hätte sie alles durch eine rosarote Brille gesehen.

Besonders eindrucksvoll wirkt auch, wie Ophüls vereinzelt mit Metaphern arbeitet, am deutlichsten wohl im Einsatz der weißen Rose, welche Lisa in einer Szene von Stefan geschenkt bekommt. Auffällig ist, wie sich Lisa in ihrer eignen Erzählung als unschuldiges, beinahe frigides Wesen zeichnet, ein Punkt, welcher durch die einzelne, zerbrechliche, weiße Rose verstärkt wird. Erst in der Kussszene verschwindet die Rose hinter dem Rücken Stefans, sie wird von den Zuseher unsichtbar, und deutet somit den Unschuldsverlust Lisas an. Das Bild und die Bedeutung der weißen Rosen findet sich auch gegen Ende des Films wieder. Und auch wenn Ophüls in einer der Schlussszenen etwas dick aufträgt und dem Zuseher eine Assoziation vorwegnimmt und somit der Schlussszene etwas den Tiefgang nimmt, bleibt "Letter from an Unknown Woman" eine bewegende Kritik an dem (vielleicht stereotypen) männlichen Standpunkt zur Liebe und ihrer damit verbundenen Flüchtigkeit.

2 Kommentare:

  1. Das mag jetzt ein wenig nach dem berühmten Plumpudding von M. de Fontgibu klingen, über den C.G. Jung in einem Aufsatz zur Synchronizität schrieb. Aber ich überlegte mir tatsächlich gerade, ob ich "Letter from an Unknown Woman" im Hinblick auf eine Besprechung in meine Merkliste aufnehmen solle, da ich von Ophüls ausser "Lola Montez" (1955) zu meiner Schande nichts kenne. Dann sagte ich mir: Louis Jourdan? Über diesen Kerl, der von Beruf Schönling war, habe ich doch schon einmal geschrieben!

    Und jetzt erledigst du die ganze Sache für mich, lässt aber auch durchblicken, dass der Film doch sehenswert sein könnte. - Wenn jetzt noch einer kommt und den Film ebenfalls gerade besprechen wollte, hätten wir den Plumpudding in vollendeter Perfektion.

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  2. Haha, ich kannte die Plumpudding-Geschichte zugegebenermaßen noch gar nicht :D Sehr passend. Ich kenne selbst noch viel zu wenig von Ophüls, was sich in Zukunft allerdings ändern wird, da die Lust und das Interesse durch "Letter from an Unknown Woman" deutlich gestiegen ist. Insofern, empfehlen würde ich dir den Film durchaus, denn wenn er dir gefällt, bekommst du wenigstens eine kleine Entschädigung für den von mir weggeschnappten Plumpudding ;)

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