Montag, 14. März 2011

Controlled by passion.

The Red Shoes - Die roten Schuhe
(Michael Powell und Emeric Pressburger, 1948)

Victoria "Vicky" Page (Moira Shearer) ist eine junge, passionierte Balletttänzerin aus reichem Hause, eine bahnbrechende Performance fehlt ihr jedoch noch in ihrer Karriere, weswegen sie den meisten Größen des Balletts kein Begriff ist. Nach einem Auftritt des legendären Ballet Lermontov unter der Führung des charismatischen, wenn auch sehr rabiaten Ballettimpresario Boris Lermontov (Anton Walbrook) veranstaltet Vickys wohlhabende Tante eine Feier zu Ehren des Ensembles. Sie erhofft sich dadurch, ein Vortanzen für ihre Nichte erschleichen zu können, wendet sich auch an Lermontov, der ihre Motivation jedoch früh erkennt, und ihr zu verstehen gibt, dass er solche Entscheidungen nicht auf einer derartigen Veranstaltung treffen könne. Durch einen Zufall läuft er der Tänzerin im Verlauf des Abends jedoch persönlich über den Weg,  sie wechseln kurz Worte, wodurch Lermentov erkennt, dass die Leidenschaft der jungen Frau durchaus vorhanden ist. Deshalb nimmt er sie trotz anfänglicher Zweifel als Schülerin bei sich im Ensemble auf. Am selben Tag wie Vicky wird auch der aufstrebende Komponist Julian Craster (Marius Goring) als Leiter des Orchesters eingestellt. Um sich vom Talent seiner neuen Ballerina zu überzeugen, besucht Lermontov eine Vorstellung einer simpleren "Schwanensee"-Inszenierung, in der Vicky Page die Hauptrolle tanzt. Beeindruckt von ihrer frappierend exakten Performance entscheidet sich der Impresario, ein neues Ballett zu kreieren, in dem Vicky den Leading Part tanzen  und dessen Score von Julian verfasst werden soll. Der Name das Balletts soll "The Red Shoes" lauten.

Basierend auf dem gleichnamigen Märchen des Dänen Hans Christian Andersen - veröffentlicht 1845 in "New Fairy Tales. Volume One" - inszenierten Powell und Pressburger, oder The Archers wie sie zusammen gerne bezeichnet wurden, mit "The Red Shoes" nach "The Black Narcissus" (1947) ihre zweite  Nachkriegs-Kollektivarbeit, die ebenso wie jener zweifach oscarprämiert wurde. Filmhistorisch bedeutend ist "The Red Shoes" unter anderem auch deshalb, da er zu den wichtigsten Vertretern der Technicolor-Ära zählt, und gleichzeitig eines der imposantesten Werke jener Epoche ist, die das vierte, patentierte Technicolor-Verfahren - und erste subtraktive Farbmischungsverfahren, das sich 3 Komponenten bediente -  anwendeten. Diese Methode ermöglichte es in den 1930ern im Film erstmals mit dem gesamten Farbspektrum zu arbeiten.

Andersens Märchen handelt von einem verarmten Mädchen, das durch das unaufhörliche Tanzen ihrer roten Schuhe beinahe ums Leben kommt. Von einem Henker lässt sie sich ihre beiden Beine amputieren und läuft fortan auf zwei Holzbeinen. Ihre beiden amputierten Beine tanzen hemmungslos weiter, während das Mädchen in der Religion zu sich selbst findet. Sowohl das Ballett im Film, als auch der Film selbst spielt wiederholt auf die Handlung des Märchens an. Das Mädchen in der Fabel beginnt auf einer Party erstmals zu tanzen, ähnlich wie Vicky, der durch ihr Treffen auf der Feier der Sprung vors große Publikum gelingt. In beiden Werken dienen die roten Tanzschuhe als Auslöser einer Tragödie, eingeleitet durch das Eigenleben der Schuhe. Interessant ist eventuell auch Slavoj Žižeks Betrachtungsweise  der roten Schuhe, die in seinem Film "The Pervert's Guide to Cinema" (2006) als Musterbeispiel für das "partial object", das "eingenommene Objekt" dienen. Der slowenische Philosoph und Filmtheoretiker erklärt:  
"The fascinating thing about partial objects – in the sense of organs without bodies – is that they embody what Freud called 'Death Drive'. ['Death Drive'] is the dimension, which in the Steven King-like horror-fiction is called the 'Dimension of the Undead', '... of the Living Dead', of something that remains alive even after it's dead, it's, in a way, immortal in its deadness itself. […] The dimension of diabolical undeadness is what partial objects are about."
"The shoes are literally the undead object."
- Slavoj Žižek ("The Pervert's Guide to Cinema", 2006)
Nach Freud steht dem Todestrieb, oder Thanatos, ("Death Drive") der Eros gegenüber, der Lebenstrieb. Während der Todestrieb die Rückkehr des Lebens zum anorganischen Zustand des Toten anstrebt, orientiert sich der Eros nach dem Überleben. Im "partial object" - den roten Schuhen in diesem Beispiel - steht dem Thanatos nichts gegenüber, wodurch sich Žižeks "dimension of diabolical undeadness" ergibt und sich begründet, wie es den Objekten gelingt, ein Eigenleben zu führen. Gleichzeitig dienen im Film die Schuhe als Manifestation der Leidenschaft Vickys, die ihr Handeln bestimmt und für sie selbst stärker ist, als das Gefühl der Liebe.

Was "The Red Shoes" allerdings fehlt, ist die brutale Konsequenz des Märchens. Der Film schlittert in seiner phasenweise banalen Handlung ab, verkommt zur billigen Romanze, deren Ende von vornherein prädestiniert ist. Zweifelsfrei ist es Powell und Pressburger durch ihre Inszenierung gelungen, dem Tanz im Film eine neue Farbe zu verleihen, doch erzähltechnisch scheitert ihr Film über weiter Strecken dennoch. Unterschätzen darf man den Einfluss des Werks dennoch nicht, denn zahlreiche Regisseure wie Scorsese oder de Palma zählen "The Red Shoes" zu ihren Favoriten und sprechen ihm einen Einfluss auf ihr Schaffen zu, und besonders Aronofskys "Black Swan" (2010) ließ die Erinnerungen an den Film der Archers wieder hochleben.

3 Kommentare:

  1. Eine interessante Besprechung dieses schönen Films. Dass er nach tiefenpsychologischer Deutung schreit, ist klar, aber weil ich ihn erst einmal gesehen habe, weiß ich nicht, ob ich mich Slavoj Žižek anschließen will, und enthalte mich hier überhaupt einer Meinung. Ich nehme an, dass mein geschätzter Kollege Whoknows Fundierteres dazu schreiben kann.

    Deshalb nur eine kleine technische Korrektur: DIE ROTEN SCHUHE war keineswegs der zweite Film der Archers. Als Firma mit beiden als nominelle Regisseure (in Wirklichkeit war die Rollenverteilung etwas differenzierter) gab es sie seit ONE OF OUR AIRCRAFT IS MISSING (1942). DIE ROTEN SCHUHE ist damit der siebte offizielle Archers-Spielfilm (plus ein Kurzfilm). Zusammengearbeitet hatten Powell (Regie) und Pressburger (Drehbuch) schon seit THE SPY IN BLACK (1939). Was man schon immer über die Archers wissen wollte, aber nie zu fragen wagte, steht im sehr fundierten Artikel von Hans Schmid in Telepolis.

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  2. Whoknows hegte sogar vage die Absicht, den Film noch in diesem Jahr zu besprechen, was er aber jetzt schön bleiben lässt. ;) - Vermutlich wäre aus meinem Eintrag so etwas wie eine Hymne geworden, die allerdings weniger die spannend zu lesenden psychologischen Aspekte als Bildgebung (der GWTW des Ballettfilms!) und die klassische Gestaltung des eigentlichen Balletts "Die roten Schuhe", dessen musikalische Motive hier in weitaus sinnvollerem Zusammenhang erklärt werden als der "Schwanensee" in "Black Swan", in den Mittelpunkt gestellt hätte. - Es gibt sehr wenige bedeutende Ballett-Filme (eine Zeitlang wurde "The Turning Point", 1977, von Herbert Ross zu ihnen gezählt) - "The Red Shoes" ist eindeutig mein Favorit. Man muss die "billige Romanze" schon ein wenig mit der Zeit in Zusammenhang bringen: der nächtens das den Sternenhimmel bewundernde Liebespaar durch die Gegend fahrende Wagen entsprach dem damaligen Zuschauergeschmack - und auch meinem (:errötender smiley:).

    Anzufügen wäre noch, dass Moira Shearer eigentlich Tänzerin war, jedoch jede Hollywood-Diva der Zeit problemlos an die Wand spielte.

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  3. @ Manfred Polak: Dankeschön für die Korrektur. Muss gestehen, dass ich bis dato nur Black Narcissus kannte und mir bei dessen Sichtung vor einigen Jahren Powell und Pressburger noch völlig unbekannt waren. Durch meine furchtbaren Recherche-Künste hat sich dieser peinliche Fehler nun eingeschlichen. Danke für dein wachsames Auge ;)

    Das Žižeks Theorie anfechtbar ist, steht außer Frage, ich kann mich selbst mit seinen Ansichten nur gelegentlich anfreunden, doch in diesem Fall fand ich seine Betrachtung nicht uninteressant.

    @ Whoknows: Ich kann dir im Punkt der Bildgebung und der Gestaltung des Balletts im Grunde nur zustimmen, besonders die Inszenierung der Tänze hat mich regelrecht fasziniert.
    An meinem Problem mit der Romanze scheitert der Film zum Teil dennoch, auch wenn ich dir im Punkt zustimme, dass man derartige Darstellungen verbunden mit dem damaligen Zeitgeist betrachten muss. Mein Problem war jedoch viel mehr, dass die Querverweise zu Andersens "The Red Shoes" so zahlreich sind, dass ich mir einen solchen auch auf dessen Ende gewünscht habe. Ansatzweise ist er ja da, die nötige Konsequenz, der Mut dazu, fehlt ihm leider dennoch.

    Schon Moira Shearers Spiel in "The Red Shoes" allein lässt sich nicht oft genug loben!

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