Montag, 21. März 2011

Bon appétit.

The Cook, The Thief, His Wife & Her Lover -
Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber
(Peter Greenaway, 1989)

Indem der überhebliche Verbrecher Albert Spica (Michael Gambon) den Vorbesitzer zum Verspeisen von Hundekot nötigt, und ihn auf dem Parkplatz des "Le Hollandais" demütigt, zelebriert er seine Übernahme eben dieses erstklassigen Restaurants. Fortan besucht er jeden Abend sein Lokal, welches vom Küchenchef Richard Borst (Richard Bohringer) so exquisit bekocht und im Grunde auch geleitet wird, in Begleitung seiner zu ihm kontrastierend kultivierten Frau Georgina (Helen Mirren) und seiner treuen Gefolgschaft aus Kleinganoven. Gekennzeichnet durch sein impertinentes Auftreten definiert Spica das Restaurant als sein Revier, belästigt sowohl Gäste als auch Personal und erniedrigt seine Frau turnusmäßig. Georgina, vom Benehmen ihres Mannes sowohl angewidert als auch verängstigt, erwidert eines Abends den verstohlenen Blick des alleine speisenden, wortkargen Michaels (Michael Howard), der sich als selbstständiger Buchhändler Abend für Abend neben dem Genuss einer superben Mahlzeit auch ein literarisches Werk zu Gemüte führt. Georgina beginnt ihren unsittlichen Mann hinter dessen Rücken sexuell zu hintergehen, indem sie während ihrer Besuche im "Le Hollandais" vom Tisch ihres Mannes verschwindet und in versteckteren Teilen des Lokals mit ihrem Liebhaber intim wird.

Peter Greenaway zählt wohl unumstritten zu den Größen des surrealistischen, (oftmals) nicht linear erzählten Films. "The Cook, The Thief, His Wife & Her Lover" sticht jedoch etwas heraus aus der Filmographie des walisischen Regisseurs, denn sein erfolgreichster und oft als "am leichtesten zugänglich" betitelter Film ist ungewohnt geradlinig, lässt sich mit seinen Vorgängern jedoch in puncto Thematik und Symbolik durchaus vergleichen. Wie so oft bei Greenaway handelt auch "The Cook, The Thief, His Wife & Her Lover" vom Grotesken, Gewalt, Sexualität, dem Tod und der Tabuisierung der letzten beiden, wie er in einem Interview mit dem "Die Zeit"-Journalisten Andreas Kilb am 24. November 1989, veröffentlicht unter dem Titel "Der Koch bin ich" (in englischer Sprache, da entnommen aus: University Press of Mississippi (Hrsg.) (2000): "Peter Greenaway: Interviews", 60-65 pp), genauer erklärte:  
"Since the sixties, one can talk quite openly about sex and it can be widely discussed, but death is still the true challenge, the deepest tabu, the worst obscenity. And there is a great need to talk about this tabued theme."
In  "The Cook, The Thief, His Wife & Her Lover" spricht er das laut ihm tabuisierte Thema Tod stellenweise sehr direkt an und verstärkt die Wirkung der intensivsten Szenen  zusätzlich durch ihren metaphorischen Nachgeschmack. Die am Film so heftig kritisierte Darstellung des Kannibalismus ließe sich wohl als offensichtlichstes Beispiel nennen, ein Tabubruch auf zahlreichen Ebenen, der - wie viele interpretieren - auch die Kritik an der Politik nicht scheut.

Dass sich "The Cook, The Thief, His Wife & Her Lover" als späte Abrechnung mit dem Thatcherismus deuten lässt, steht außer Frage, denn Greenaway setzt den Kapitalismus und die Kriminalität unter Anwendung von Metaphern gleich. Er referenziert in seinem Werk häufig auf das Schaffen berühmter (in vielen Fällen holländischer) Maler, am deutlichsten wohl in "Nightwatching" (2007), einem Drama über Rembrandt und dessen Gemälde "Nachtwache" (1642). In seinem 1989 erschienen Film bezieht er sich unterschwellig auf Frans Hals' Banket van de officieren van de St. Jorisdoelen (1616), das im "Le Hollandais" eine Wand schmückt. Die Reinszenierung der auf dem Gemälde sichtbaren Szenerie mithilfe Spicas und seiner Gefolgschaft lässt darauf schließen, dass Verbrecher (im von Margaret Thatcher regierten Großbritannien) eine hierarchisch ähnlich wichtige Position einnehmen wie die in der Vorlage präsentierten Offiziere. Spica, das unanfechtbare Zentrum des Übels, spielt demnach die bedeutendste Rolle, er profitiert von der diebisch-kapitalistischen Regierung Thatchers, er unterdrückt  das intellektuelle Volk (Georgina, Michael) und verstümmelt den kreativen Freigeist der Kunst (repräsentiert durch Pup, den singenden Küchenjungen).

Besonders eindrucksvoll - in Greenaways Filmen beinahe gewohntermaßen - sind Sacha Viernys souveräne Kameraführung und das perfektionistische Szenenbild von Ben van Os und Jan Roelfs. Abgesehen von einer handvoll Szenen spielt sich der gesamte Film im und rund um das Restaurant ab, dass sich in vier abgegrenzte Welten aufspalten lässt, die sich am deutlichsten wohl in ihrer Farbe unterscheiden. Außerhalb des Lokals befindet sich ein Parkplatz, konsequent in blau gehalten, sich als chaotischsten, als ausladenden Ort präsentierend. Die Küche wirkt nicht weniger unordentlich, komplett in grün gehalten erscheint jener Teil jedoch als wesentlich lebendiger. Der rote Speisesaal evoziert leidenschaftliche, lustvolle Gefühle, während sich die steril in weiß gehaltene Toilette als befremdlich und gefühlskalt präsentiert. Eben dieses unheimlich detailreiche Szenenbild und die Beleuchtung tragen zur atmosphärischen Diversität der Films zusätzlich bei, kreieren eine markante Optik, die sich wohl am ehesten mit den frühen Werken des Duos Jeunet-Caro vergleichen lässt. Trotz einer Großzahl von Sprechrollen ließe sich Greenaways "The Cook, The Thief, His Wife & Her Lover" als Kammerspiel bezeichnen. Besonders Viernys perspektivensparsame Kameraführung, die auf Dollyzooms beinahe vollständig verzichtet und sich auf seitliche Bewegungen beschränkt, und das  präzise Szenen-(Bühnen-)bild kennzeichnen den theatherähnlichen Stil des Films. 

Greenaway antwortete im obengenannten Interview auf Kilbs Bemerkung, dass der Koch der einzige sei, der seine Farbe nie verändern würde, stets weiß bliebe, nichts essen und niemanden ermorden würde, also generell außerhalb der Handlung aufhalten würde, folgendermaßen:
"Obviously, I am the cook. The cook is the director."
Greenaway ist der Koch.  Und das Menü, dass er einem mit "The Cook, The Thief, His Wife & Her Lover" auftischt, ist ein Exquisites. Facettenreich, interessant, äquivok und intensiv. Da bleibt nur eines zu sagen: Bon appétit.

5 Kommentare:

  1. Ein Greenaway! Den Mut hätte ich nie, verzweifle ich doch immer wieder an seinen Filmen. Als er seinerzeit mit "The Draughtman's Contract" zum Liebling der Intellektuellen aufstieg, dachte ich noch, ich würde ihn eines Tages verstehen. Dann kam der Rest; und spätestens bei "Prospero's Books" (1991) gab ich die Hoffnung auf, obwohl ich doch mit Shakespeare's "The Tempest" einigermassen vertraut bin. - Deine informative Besprechung verlockt mich zumindest zur erneuten Sichtung dieses Werks. Vielleicht werde ich mich dem Kerl sogar eines Tages annähern. ;) - Alle Achtung!

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  2. @ Whoknows: Ich habe ebenfalls so meine (ziemlich großen) Verständnisprobleme mit Greenaway, doch das schmälert meine Faszination für ihn keineswegs, da ich generell jemand bin, der sich für Filme begeistern kann, die sich erst mit wiederholten Sichtungen dechiffrieren lassen. Und dafür ist jeder der von mir bisher gesehenen Greenaways ein Garant. Darum hab ich mich, selbst im Wissen, der Komplexität und Genialität des Films niemals würdig zu werden, zu einer Besprechung zu "The Cook, The Thief, His Wife & Her Lover" überwinden können. Freut mich allerdings, wenn ich dich zu einer auffrischenden Sichtung verlocken konnte ;)

    Oh, und außerdem hält Greenaway nicht allzu viel von Stephen Frears, was ihn in meinen Augen nur noch sympathischer macht. Aber das nur nebenbei ;)

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  3. Ha, wer hat da etwas gegen Stephen Frears gesagt? Gut, man muss nicht alles von ihm mögen, aber ich finde beispielsweise THE HIT und PRICK UP YOUR EARS sehr gelungen!

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  4. @Manfred Polak: Das ist der gewohnte Zwist zwischen Landsleuten, die in etwa zur gleichen Zeit berühmt wurden. ;) Frears' neuere Arbeiten begeistern mich auch nicht sonderlich, wobei ich eine nostalgische Schwäche für "Mrs. Henderson Presents" (2005) entwickelte; aber "The Hit" und "My Beautiful Laundrette" (1985) hatten es schon in sich. - Erstaunlich an der "Fehde": Beide beackern ganz andere Felder und sprechen auch nicht unbedingt das gleiche Publikum an.

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  5. @ Manfred Polak & Whoknows: Mein Problem mit Frears ergibt sich vor allem daraus, dass er zwar ein paar durchaus gelungene Filme zu Buche stehen hat, jedoch laufend (ganz besonders in den letzten Jahren) quasi kontrastierend belanglose Schinken wie "Dangerous Liasons" oder der noch um Längen schlimmere "Tamara Drewe" abliefert. Damit ist er als Regisseur natürlich nicht alleine, tragisch und schade ist's trotzdem.

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