Mittwoch, 22. Februar 2012

Devotion, Drawbacks, Void.

Blue Valentine
(Derek Cianfrance, 2010)

Beim Ehepaar Dean (Ryan Gosling), einem Maler, und Cindy (Michelle Williams), einer Krankenschwester, trafen einst konträre Welten aufeinander. Zusammen haben sie nun eine kleine Tochter, leben außerhalb der Stadt und führen ein einfaches Leben. Als der familiäre Hund Meagan entläuft und nach zuerst erfolgloser Suche von Cindy auf dem Nachhauseweg, tot am Straßenrand liegend, entdeckt wird, gerät die ohnehin brüchige Beziehung weiter ins Wanken. Dean und Cindy suchen die gemeinsame Zeit und bringen ihre Tochter zu Cindys Eltern, um für einen Abend alleine zu sein. Sie versuchen das wiederzufinden, was sie einst zueinander geführt hat, in einer Zeit vor jeglichen Verpflichtungen, vor jeglichem Erwartungsdruck, einer Zeit der Unbeschwertheit und Unschuld. Doch in getrauter Zweisamkeit offenbaren sich noch größere Abgründe, Worte werden missverstanden, Handlungen fehlinterpretiert, Einstellungen und Motivationen divergieren und zeigen, wie wackelig die Basis ihrer Beziehung tatsächlich ist.

Es ist bezeichnend, dass die ehrlichsten und gleichermaßen ergreifendsten amerikanischen Filme der letzten Jahre meist kleine Independent-Produktionen sind, die mit geringen Budget, kleinem Aufwand und einem oftmals herausragenden Drehbuch die Programmkinos rund um die Welt füllen. Besonders die Filme der Mumblecore-Bewegung rund um Andrew Bujalski und die Brüder Duplass, welche mit meist verwackelten Handkamera-Aufnahmen, einem Hang zur Verwendung des optischen Zooms und charakterzentrierten Skripts einen gewissen filmischen Naturalismus anzustreben versuchen. Die Filme sind in puncto Bildsprache und Ästhetik weniger ambitioniert, versuchen jedoch eine beinahe dokumentarische Atmosphäre zu schaffen, die es ihnen ermöglicht, realitätsnahe, kleine Filme in die Kinos zu bringen. Auch wenn man "Blue Valentine" von Derek Cianfrance nicht zur Mumblecore-Bewegung zählt, zeigen sich starke Ähnlichkeiten, jedoch schleicht sich auch eine sehr eindrucksvolle ästhetische Komponente ein. Dennoch, der Fokus liegt auch in "Blue Valentine" auf den Charakteren, die wahrheitsgetreuer kaum sein könnten.

Eine brüchige Beziehung steht im Vordergrund, von ihren Ursprüngen wissen wir zu Beginn nichts, doch der Tod des Haustieres scheint eine Lawine von schmerzlichen Erkenntnissen loszutreten. Dean wirft Cindy vor, das Gartentor nicht geschlossen, und somit den Tod des Hundes verschuldet zu haben. Dennoch begräbt er den Hund, und bricht im Anschluss am Küchentisch weinend zusammen. Seine Tochter schützt er vor der Wahrheit, überspielt seine Trauer ihr gegenüber mit kindlichem Benehmen und versucht Cindy zu überreden, den Tag gemeinsam zu verbringen. Doch der gemeinsame Abend wird zum Fiasko. Aus dem geplanten, kinderlosen Beisammensein zum Sex, wird eine Offenbarung für beide. Deans Annäherungen werden von Cindy kalt zurückgestoßen, zum Ausleben der Lust kommt es nicht, doch in einem Gespräch während des Essens kommt es zu einer Grundsatzdiskussion über verschenktes Potenzial, die Prioritäten der beiden und je länger der Abend dauert, desto mehr eskaliert die Situation.
In Rückblicken erfahren wir vom ersten Treffen der beiden, sehen sie tanzen, die Unbeschwertheit genießen, und selbst als es ernst wird, bleiben wir in einer heilen Welt, die Cianfrance wundervoll in warmen Bildern einfängt, während das Geschehen der Gegenwart weitgehend in düsteren, kalten Farben gehalten wird. Eine Art Überleitung findet sich in der Szene im Bus, wo die Dunkelheit des Tunnels, den sie durchqueren, als Vorschau für das fungiert, was auf die beiden zukommt. Ähnliches gilt für die Szenen in Cindys Elternhaus, die ebenfalls spannungsgeladen wirken, und ein nur nach außen hin heiles Heim präsentieren.

Welcher Wert in "Blue Valentine" auf dem Drehbuch liegt, zeigt sich bereits in der Szene, als Cindy und Dean vom Einkaufen nach Hause fahren, und Cindy sich erst nach langem Überlegen dazu entscheidet, Dean davon zu erzählen, dass sie ihren Jugendschwarm im Geschäft wiedergesehen hat. Als Dean darauf sichtlich gereizt reagiert, fügt sie lügend hinzu, dass ihr Schwarm ohnehin nicht gut ausgesehen habe und dick geworden sei, was die Situation weiter verschlechtert. Dean versteht nicht, warum ihn die Tatsache, dass Cindys Exfreund ein "Loser" geworden sei, interessieren solle. Zur Versöhnung streckt Cindy ihre Hand nach ihrem Mann, doch er weicht aus. Auch hier entbrennt ein Streit, der sich in jeder Szene sichtbar fortsetzt. Bei jeder Handlung, jedem gesprochenen Wort hängt der Zuseher an der Betonung, an der Bedeutung, während die Charaktere sich gegenseitig bekriegen, teils wegen Nichtigkeiten, meist jedoch aufgrund ihrer Beziehung, die zu schlagartig entstanden ist, und deren Basis aufgrund der Tatsache, dass sich die beiden damals kaum kannten, nun kaum Gemeinsamkeiten teilen, praktisch nicht besteht.

Derek Cianfrances "Blue Valentine" ist eine jener Perlen des amerikanischen Independent-Kinos, die so erschütternd ehrlich und realistisch sind, dass man sich selbst zu beängstigenden Anteilen in den Figuren wiederentdeckt. Man wünscht sich mehr Filme dieser Sorte, doch es ist schon beruhigend zu wissen, dass Ausnahmeschauspieler wie Ryan Gosling und Michelle Williams sich bereit erklären, an Produktionen wie jener mitzuwirken, denn so erfahren diese wenigen Perlen wenigstens mancherorts die Aufmerksamkeit, die sie zweifellos verdienen.

8 Kommentare:

  1. Sehr gut geschriebenes Review, welches mich wirklich neugierig gemacht hat. Habe bisher keine Notiz von dem Film genommen. Ist aber nun notiert! Danke für den Tipp!

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  2. Ich kann mich Marcos Kommentar nur anschliessen. Samsa mit seiner speziellen Art, dem Leser einen Film unter der Nase hindurchzuziehen, ist zurück. :) - "Blue Valentine" ist sicher etwas für einen Abend, an dem man auch für weniger leichte Kost zugänglich ist; für einen solchen werde ich ihn mir aber vormerken.

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  3. Schöne Besprechung, der Film ist echt sehr fein. :) Michelle Williams ist mittlerweile ein absoluter Fixstern (auch in zwei Kelly Reichhardt Filmen)...dabei fand ich sie bei "Dawson's Creek" immer am nervigsten. ;)

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  5. @ Marco: Dankeschön! Hoffe, dir gefällt der Film ähnlich gut wie mir :)

    @ Whoknows: Es freut mich durchaus, anderen immer wieder Empfehlungen ans Herz legen zu können, doch manchmal frage ich mich, ob ich hier nicht mehr Verrisse in meinen Blog inkludieren sollte. "Hugo Cabret", "The Artist" und "The Descendants" habe ich letztens alle innerhalb kurzer Zeit gesehen, und mir schon die Worte im Kopf zurechtgelegt, um zumindest einen hier verreißen zu können (denn keiner wollte mir wirklich zusagen), doch dann kam "Blue Valentine" und mit ihm die Verpflichtung, dem Film eine kleine Huldigung zu widmen. Jaja, das Leben ist hart ;)

    @ Paul: Michelle Williams ist mir mit Carey Mulligan wohl so ziemlich die liebste aller englischsprachigen Schauspielerinnen momentan (trotz ihrer zweifellos furchtbaren Rolle in "Dawson's Creek"). Und beide sind binnen kürzester Zeit zusammen mit Gosling vor der Kamera gestanden, dem Glückspilz ;) "Meek's Cutoff" werde ich mir in den nächsten Tagen zu Gemüte führen, "Wendy and Lucy" hatte ich bis dato noch so gar nicht auf dem Radar. Danke jedoch für den Tipp, den werde ich mir im Hinterkopf behalten :)

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  6. @Samsa
    Verrisse schreibt man einfach, wenn man es mal wieder für den "Seelenfrieden" braucht. ;) Ich habe mir neulich einen deutschen Schinken aus den 50ern angetan und konnte mich des Gefühls nicht erwehren, das schreie nach Rache. Die Kurzbesprechung befindet sich in meiner Pipeline, und ich fühle mich besser. - So entstehen Verrisse. :)

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  7. Haha, lustig, dass du Mulligan erwähnst. Die kam mir nämlich in "Drive" wie eine Michelle Williams für Arme vor. ;) Wahrscheinlich weil ich die Kombi Gosling/Williams noch im Kopf hatte. Mulligan hat für mich keine Ausstrahlung, aber viel kenne ich noch nicht mit ihr. Außer "An Education", den finde ich insgesamt toll...

    Hmm, Verrisse von "Descendants" und "Hugo"...die brauch ich nicht, haben mir beide ganz gut gefallen ;) Natürlich keine besonders vielschichtigen Filme, aber mit dem Herz am richtigen Fleck, wenn ich das mal so sagen darf..

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  8. @ Whoknows: Da hast du wohl recht :D Mal sehen, was die Zukunft so bringt ;)

    @ Paul: Haha, mir gefiel sie besonders in "Drive" sehr, muss allerdings sagen, dass mir ihre Rollenwahl generell sehr zusagt. Ich mag die Frau einfach. Nein, die beiden Filme sind ohnehin nicht mehr aktuell genug, gemessen an der Zeit, die seit der Sichtung vergangen ist ;) Werde demnächst wohl eher etwas von Jim Jarmusch bringen. Bin gerade damit beschäftigt, seiner Filmographie einen Rerun zu widmen :D

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