Dienstag, 21. Juni 2011

Dealing with a lack of time...

Never Let Me Go
Alles, was wir geben mussten
(Mark Romanek, 2010)

In Rückblicken erinnert sich Kathy (Carey Mulligan) an ihre Kindheit in Hailsham, einem strengen Internat, wo sie mit ihren Freunden Ruth (Keira Knightley) und Tommy (Andrew Garfield) unter der Aufsicht der herrischen Internatsleiterin Miss Emily (Charlotte Rampling) in den 70er Jahren aufgewachsen ist. Hailsham ist damals vor seiner Schließung als gewöhnliche Lehranstalt getarnt worden, die Kinder dort sind unterrichtet, belehrt und bei Vergehen bestraft worden, doch die Aufmerksamkeit, welche die Lehrer den Kindern gewidmet haben, ist keiner Norm entsprechend gewesen. Ohne ihr Mitwissen sind die Kinder anfangs strengstens überwacht worden, auch ihre gesundheitliche Verfassung hat man stets im Auge behalten, die Kinder jedoch ahnten nichts, bis eines Tages die Lehrerin Miss Lucy (Sally Hawkins) ihren Schülern von Schuldgefühlen geplagt erzählt hatte, dass sie kein sehr langes oder erfüllendes Leben führen würden, da ihr Leben nur einem Zweck diene: Der Rettung anderer Menschen. Laut Miss Lucy habe man die Kinder nach dem Vorbild anderer Menschen erschaffen und sie so großgezogen, dass sie als gesunde Organspender ihre Dienste leisten könnten. Die Jahre verstreichen, Kathy verliebt sich in Tommy, dieser jedoch verfällt Ruth, wodurch Beziehungen zwischen den drei Freunden zu Bruch gehen, während sie gleichzeitig versuchen damit fertigzuwerden, einem sicheren, verfrühten Ende entgegenzuschreiten.

Mark Romanek (geboren 1959 in Chicago, Illinois) zeigte schon früh Interesse am Umgang mit der Kamera und belegte nach seinem Besuch der Highschool einen Filmkurs. Im Anschluss daran wechselte er ans Ithaka College in New York, wo er im Fach Fotografie seinen Abschluss machte. Für Brian de Palmas Independent-Film „Home Movies“ (1980) absolvierte er in der Funktion des Regieassistenten seine ersten Schritte auf filmischen Terrain. Fünf Jahre später nahm er erstmals selbst das Ruder in die Hand und inszenierte mit „Static“ (1985) einen Film über einen schrulligen Arbeiter einer Kruzifix-Fabrik, der eine Maschine erfindet, die seines Erachtens Bilder des Himmels zu zeigen vermag. Nachdem die ihm nahestehenden Menschen beim Blick in die Maschine nichts zu erkennen scheinen, entführt der seltsame Erfinder kurzerhand einen von älteren Leuten befahrenen Bus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu lenken. Das Drehbuch des Films entsprang einer Zusammenarbeit Romaneks mit Keith Gordon, welcher auch die Hauptrolle in „Static“ übernahm. Neben Gordon standen auch Amanda Plummer und Bob Gunton – beide damals an den Anfängen ihrer Karrieren – vor der Kamera. Romanek wurde 1986 für den Großen Preis der Jury beim Sundance Film Festival (welcher in jenem Jahr an „Smooth Talk“ [1985] von Joyce Chopra ging) nominiert, wodurch seine Karriere Schwung aufnahm – wenn sie auch gleichzeitig einen neuen Weg einschlug, denn Romanek machte sich in den darauffolgenden Jahren in erster Linie als Musikvideofilmer einen Namen. Keith Richards, Lenny Kravitz, David Bowie, Madonna, Iggy Pop, Nine Inch Nails und Michael Jackson sind nur einige Namen, welche ihre Videos von Romanek inszenieren ließen. Erst 2002 kehrte Romanek mit „One Hour Photo“ (2002), einem Film über einen Foto-Entwickler, welcher zum Stalker wird, zum Spielfilm zurück. 2010 folgte nach weiteren Musikvideos – unter anderem für Johnny Cash, Linkin Park und Coldplay – Romaneks dritter Spielfilm: „Never Let Me Go“ (2010), basierend auf dem gleichnamigen Roman des in Japan geborenen, britischen Autors Kazuo Ishiguro.

„Never Let Me Go“ zeichnet das Bild einer dystopischen Gesellschaft, in der das Schicksal einzelner Menschen bereits vorbestimmt wird, um der Menschheit zu helfen. Der Mensch wird dabei zum Nutztier, er wird gezüchtet, aufgezogen, ausgeschlachtet, entleert. Ohne die literarische Vorlage zu kennen, fällt in Romaneks Umsetzung dennoch eines deutlich auf: Anstatt den ethischen Diskurs aufzugreifen und die Brutalität jener Dystopie und der vorbestimmten Organspende mit der heutigen Gesellschaft zu verbinden und zu vergleichen, bleibt Romanek oberflächlich, er bleibt zu vorsichtig. Er verwandelt die Handlung in eine Love-Story, die sich nur am Rande mit dem Gefühl der Ausweglosigkeit, der Hoffnungslosigkeit, des Verlorenseins seitens der Hauptfiguren befasst. In der Liebe suchen sie den Ausweg, durch sie hoffen sie ihrer prädestinierten Zukunft zu entfliehen, darin liegt auch die Stärke und der Tiefgang des Films, gleichzeitig jedoch scheut Romanek große Worte zu sprechen, eine tatsächliche Aussage in seinem Film zu packen. So bleibt Romaneks Film zwar eine gelungene Verfilmung der Dreiecksbeziehung der Hauptfiguren, der Wertinhalt, welcher der Romanvorlage nachgesagt wird, findet sich in ihr dennoch nicht wieder.

5 Kommentare:

  1. Schade: Ich gehöre zu den immer seltener anzutreffenden Verfechtern von Romanek's "One Hour Photo" und staunte schon, dass bis zu seinem nächsten Spielfilm acht Jahre vergingen. Nach deiner Kritik, die die Oberflächlichkeit von "Never Let Me Go" (erst noch mit der von mir nicht sonderlich geschätzten Keira Knightley) anprangert, sehe ich mich gezwungen, meine Position erneut zu überdenken. Ob ich mir eine Sichtung überhaupt antun werde...?

    AntwortenLöschen
  2. Ist bereits einige Zeit her, dass ich "One Hour Photo" gesehen habe und damals ist ein eher maues Gefühl zurückgeblieben. Bei "Never Let Me Go" war es nicht anders. Vielleicht liegt mir Romaneks Stil - vor allem in puncto Wertinhalt und beabsichtigte Aussage - einfach nicht. Es wirkt bei seinen Filmen so, als ob es noch viel zu sagen gebe, das jedoch schlicht weggelassen wird. Ich möchte dir nicht zwangsläufig vom Film abraten, denn "Never Let Me Go" wurde von vielen Seiten sehr positiv aufgenommen, dennoch warne ich davor, nicht zu viel zu erwarten.

    AntwortenLöschen
  3. One Hour Photo hatte ich gesehen und gehöre wie Whoknows zu den Verfechtern des Films.
    Das Problem von "Never Let Me Go" liegt sicher nicht beim Regisseur, sondern auf einer ganz anderen Ebene: Bei der Vorlage! Sie ist schlichtweg schlecht.
    Ich habe Ishiguros Roman gelesen und kann sämtliche Kritikpunkte, die Du auf den Film beziehst, auf das Buch anwenden: Keine klare Aussage, Oberflächlichkeit, fehlender ethischer Diskurs... Ich fand das Buch schlichtweg grässlich. Der indifferent dahinplätschernde Ton der Vorlage scheint dank jener übertriebenen Buchstabentreue, die Literaturverfilmungen oft papieren und leblos machen, auch in den Film "hinübergertettet" worden zu sein...

    AntwortenLöschen
  4. @gabelingeber:
    Interessanter Standpunkt. Ich muss ja gestehen, mich an die Vorlage noch nicht herangetraut zu haben, auch wenn sehr viel Gutes darüber gehört habe. Entnehme ich aus deiner Formulierung richtig, dass du die Verfilmung noch nicht gesehen hast? Falls dem so sein sollte, würde es mich freuen, wenn du bei einer Sichtung, falls sie je stattfinden sollte, deine Meinung in irgendeiner Form kundtun würdest. Würde mich interessieren :)

    AntwortenLöschen
  5. Der Film ist bei uns (Schweiz) noch nicht angelaufen. Ob ich meine begrenzte Zeit dafür opfern werde, weiss ich noch nicht. Mir war das Buch in seiner Indifferenz derart zuwider, dass ich mich dem eigentlich nicht nochmals aussetzen möchte.
    Über die guten Kritiken, die Du erwähnst, kann ich mich nur wundern: Für mich etwas vom Schwächsten, was ich in letzter Zeit gelesen habe!

    AntwortenLöschen