Blue Valentine
(Derek Cianfrance, 2010)
Beim Ehepaar Dean (Ryan Gosling), einem Maler, und Cindy (Michelle Williams), einer Krankenschwester, trafen einst konträre Welten aufeinander. Zusammen haben sie nun eine kleine Tochter, leben außerhalb der Stadt und führen ein einfaches Leben. Als der familiäre Hund Meagan entläuft und nach zuerst erfolgloser Suche von Cindy auf dem Nachhauseweg, tot am Straßenrand liegend, entdeckt wird, gerät die ohnehin brüchige Beziehung weiter ins Wanken. Dean und Cindy suchen die gemeinsame Zeit und bringen ihre Tochter zu Cindys Eltern, um für einen Abend alleine zu sein. Sie versuchen das wiederzufinden, was sie einst zueinander geführt hat, in einer Zeit vor jeglichen Verpflichtungen, vor jeglichem Erwartungsdruck, einer Zeit der Unbeschwertheit und Unschuld. Doch in getrauter Zweisamkeit offenbaren sich noch größere Abgründe, Worte werden missverstanden, Handlungen fehlinterpretiert, Einstellungen und Motivationen divergieren und zeigen, wie wackelig die Basis ihrer Beziehung tatsächlich ist.
Es ist bezeichnend, dass die ehrlichsten und gleichermaßen ergreifendsten amerikanischen Filme der letzten Jahre meist kleine Independent-Produktionen sind, die mit geringen Budget, kleinem Aufwand und einem oftmals herausragenden Drehbuch die Programmkinos rund um die Welt füllen. Besonders die Filme der Mumblecore-Bewegung rund um Andrew Bujalski und die Brüder Duplass, welche mit meist verwackelten Handkamera-Aufnahmen, einem Hang zur Verwendung des optischen Zooms und charakterzentrierten Skripts einen gewissen filmischen Naturalismus anzustreben versuchen. Die Filme sind in puncto Bildsprache und Ästhetik weniger ambitioniert, versuchen jedoch eine beinahe dokumentarische Atmosphäre zu schaffen, die es ihnen ermöglicht, realitätsnahe, kleine Filme in die Kinos zu bringen. Auch wenn man "Blue Valentine" von Derek Cianfrance nicht zur Mumblecore-Bewegung zählt, zeigen sich starke Ähnlichkeiten, jedoch schleicht sich auch eine sehr eindrucksvolle ästhetische Komponente ein. Dennoch, der Fokus liegt auch in "Blue Valentine" auf den Charakteren, die wahrheitsgetreuer kaum sein könnten.
Eine brüchige Beziehung steht im Vordergrund, von ihren Ursprüngen wissen wir zu Beginn nichts, doch der Tod des Haustieres scheint eine Lawine von schmerzlichen Erkenntnissen loszutreten. Dean wirft Cindy vor, das Gartentor nicht geschlossen, und somit den Tod des Hundes verschuldet zu haben. Dennoch begräbt er den Hund, und bricht im Anschluss am Küchentisch weinend zusammen. Seine Tochter schützt er vor der Wahrheit, überspielt seine Trauer ihr gegenüber mit kindlichem Benehmen und versucht Cindy zu überreden, den Tag gemeinsam zu verbringen. Doch der gemeinsame Abend wird zum Fiasko. Aus dem geplanten, kinderlosen Beisammensein zum Sex, wird eine Offenbarung für beide. Deans Annäherungen werden von Cindy kalt zurückgestoßen, zum Ausleben der Lust kommt es nicht, doch in einem Gespräch während des Essens kommt es zu einer Grundsatzdiskussion über verschenktes Potenzial, die Prioritäten der beiden und je länger der Abend dauert, desto mehr eskaliert die Situation.
In Rückblicken erfahren wir vom ersten Treffen der beiden, sehen sie tanzen, die Unbeschwertheit genießen, und selbst als es ernst wird, bleiben wir in einer heilen Welt, die Cianfrance wundervoll in warmen Bildern einfängt, während das Geschehen der Gegenwart weitgehend in düsteren, kalten Farben gehalten wird. Eine Art Überleitung findet sich in der Szene im Bus, wo die Dunkelheit des Tunnels, den sie durchqueren, als Vorschau für das fungiert, was auf die beiden zukommt. Ähnliches gilt für die Szenen in Cindys Elternhaus, die ebenfalls spannungsgeladen wirken, und ein nur nach außen hin heiles Heim präsentieren.
Welcher Wert in "Blue Valentine" auf dem Drehbuch liegt, zeigt sich bereits in der Szene, als Cindy und Dean vom Einkaufen nach Hause fahren, und Cindy sich erst nach langem Überlegen dazu entscheidet, Dean davon zu erzählen, dass sie ihren Jugendschwarm im Geschäft wiedergesehen hat. Als Dean darauf sichtlich gereizt reagiert, fügt sie lügend hinzu, dass ihr Schwarm ohnehin nicht gut ausgesehen habe und dick geworden sei, was die Situation weiter verschlechtert. Dean versteht nicht, warum ihn die Tatsache, dass Cindys Exfreund ein "Loser" geworden sei, interessieren solle. Zur Versöhnung streckt Cindy ihre Hand nach ihrem Mann, doch er weicht aus. Auch hier entbrennt ein Streit, der sich in jeder Szene sichtbar fortsetzt. Bei jeder Handlung, jedem gesprochenen Wort hängt der Zuseher an der Betonung, an der Bedeutung, während die Charaktere sich gegenseitig bekriegen, teils wegen Nichtigkeiten, meist jedoch aufgrund ihrer Beziehung, die zu schlagartig entstanden ist, und deren Basis aufgrund der Tatsache, dass sich die beiden damals kaum kannten, nun kaum Gemeinsamkeiten teilen, praktisch nicht besteht.
Derek Cianfrances "Blue Valentine" ist eine jener Perlen des amerikanischen Independent-Kinos, die so erschütternd ehrlich und realistisch sind, dass man sich selbst zu beängstigenden Anteilen in den Figuren wiederentdeckt. Man wünscht sich mehr Filme dieser Sorte, doch es ist schon beruhigend zu wissen, dass Ausnahmeschauspieler wie Ryan Gosling und Michelle Williams sich bereit erklären, an Produktionen wie jener mitzuwirken, denn so erfahren diese wenigen Perlen wenigstens mancherorts die Aufmerksamkeit, die sie zweifellos verdienen.