Sonntag, 3. Juli 2011

Sticking your Flag in the Ground.

This is England
(Shane Meadows, 2006)

England, 1980er: Nach dem Verlust seines Vaters, welcher im Falklandkrieg gefallen ist, wächst der zwölfjährige Shaun (Thomas Turgoose) unter der Obhut seiner alleinerziehenden Mutter (Jo Hartley) in bescheidenen Verhältnissen auf. In der Schule ist der Bub ein biederer Außenseiter, er wird aufgrund seiner Kleidung und seines Aussehens gehänselt und wird im Zuge eines Witzes über den Tod seines Vaters handgreiflich. Nach der Schlägerei wird Shaun vom Direktor auf den Heimweg geschickt, wo er unerwartet auf eine Bande junger Skinheads stößt. Woody (Joseph Gilgun), der Anführer der Clique, wird augenblicklich auf den mit gesenktem Haupt nach Hause watenden Jungen aufmerksam und bittet ihn, sich zu den Mitgliedern der Bande zu setzen. Langsam gelingt es der Bande, Shaun aufzumuntern, ihn auf andere Gedanken zu bringen und ihn Akzeptanz spüren zu lassen. Die Clique nimmt ihn bei sich auf und zeigt ihm eine Welt der Freundschaft und des Zusammenhalts vollkommen abseits nationalistischer, rechtsradikaler Grundsätze. Sie sind vielmehr eine Gruppe von Freunden als von Skinheads, doch das Klima verändert sich als Combo (Stephen Graham), der einstige Kopf der Bande, nach mehrjährigem Gefängnisaufenthalt zurückkommt und die Truppe aufmischt. Die Clique beginnt an seinen Motivationen und Ansichten zu zerbrechen, Shaun jedoch findet in Combo eine prägende Vaterfigur.

Der 1972 geborene Shane Meadows zählt ohne Frage zu den interessantesten, aufstrebenden Regisseuren Europas. Wie die meisten Helden seiner Filme ist auch Meadows als Außenseiter und in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Sein Vater arbeitete als LKW-Fahrer, während seine Mutter ihr Geld in einem Fish and Chips-Stand verdiente. Aufgrund von kleineren Vergehen und Diebstählen wurde er von der Schule verwiesen bevor er seinen Abschluss machen konnte.  Mit 20 zog er nach Nottingham, wo er gemeinsam mit Ortsansässigen seine ersten Kurzfilme drehte und auf dem College Paddy Considine kennenlernte. 1995 lieferte er seine erste Arbeit fürs Fernsehen ab, ein Jahr später kam mit "Small Time" sein erster Spielfilm. Es folgten unter anderem "A Room for Romeo Brass" (1999), "Once Upon a Time in the Midlands" (2002), "Dead Man's Shoes" (2004) und "This is England" (2006). Auffällig in Meadows Filmen sind häufig starke autobiographische Bezüge. So spielen sie zumeist in ärmeren Teilen der Midlands, in denen Meadows aufgewachsen ist, und handeln von Jugendlichen oder gar Kindern, die mit ihrem Umfeld zu kämpfen haben. Die deutlichsten Bezüge finden sich wohl einerseits in "A Room for Romeo Brass", welcher in der Freundschaft der Hauptfiguren die Beziehung zwischen Meadows und dessen besten Freund Paul Fraser widerspiegelt, und andererseits in "This is England", in dem Meadows seine Zeit in einer Skinheads-Bande verarbeitet. Momentan arbeitet Meadows an der Miniserie "This is England '86", welche vom späteren Leben der Hauptfiguren des Films handelt.

Mit "This is England" ist Shane Meadows eine unheimlich vielschichtige und äußerst kritische Milieustudie gelungen, die besonders von ihrem mutigen Drehbuch, ihren tiefen Charakteren und deren Darstellern lebt. Beeindruckend ist vor allem, wie Meadows hier keine einfache, oberflächliche Kritik am Nationalismus ausübt, sondern wesentlich tiefer bohrt. Er kritisiert die jugendlichen Außenseiter, die als Skinheads ihre Zusammengehörigkeit ausleben, ohne zu realisieren, was sie dadurch verkörpern. Sie sind naiv und werden von der Rückkehr Combos überrumpelt. Jene von ihnen, die der Ideologie und Gehirnwäsche Combos nicht folgen wollen, behalten zwar recht, schaffen es jedoch nicht Shaun, der sich auf der verzweifelten Suche nach Anerkennung von einer fehlenden Vaterfigur befindet, mitzunehmen. Sie lassen ihn zurück, weswegen Combo die ersehnte Vaterfigur für den Jungen spielt. Zwar ist er ein ignoranter, gewaltbereiter, rechtsradikaler Patriot, ein extremer Nationalist eben, gleichzeitig jedoch ist er ein warmherziger Beschützer für Shaun. Er hat selbst mit Problemen zu kämpfen, er scheitert, er ist schlicht und einfach menschlich. Das Ende, insbesondere der Bruch der vierten Wand - zählt wohl zu den aussagekräftigsten Momenten des Kinos der letzten Jahre. Ein knallhartes Fazit zu einer Generation, zu Margaret Thatcher und zu einer gesamten Nation.