Montag, 28. Februar 2011

Loneliness and alienation.

Badlands
(Terrence Malick, 1973)

Mitten im Präriestaat South Dakota, im Fort Dupree der 50er Jahre lernt der 25-jährige Kit (Martin Sheen), ein rebellischer Freigeist, die um zehn Jahre jüngere Holly (Sissy Spacek) kennen, die unter dem wachsamen und strengen Auge ihres alleinerziehenden Vaters (Warren Oates) aufwächst. Kit und Holly kommen sich näher, doch der herrische Vater versucht einen Keil zwischen die beiden zu treiben, woraufhin Kit ihn erschießt. Nachdem die beiden Verliebten die wichtigsten Besitztümer Hollys aus ihrem Vaterhaus gerettet haben, brennen sie die Überreste inklusive der Leiche nieder. Auf der Flucht vor ihrer Verantwortung verschlägt es sie auf eine Reise, die sie zuerst in bewaldete Gebiete Nordamerikas führt und sie später die weiten Felder der Prärie durchstreifen lässt bis es sie nach Montana verschlägt, flüchtend einerseits vor der zu tragenden Verantwortung, andererseits vor der Gesellschaft selbst, von der sich das Paar zunehmend entfremdet. Ein blutiger Streifzug durch den endlosen, kargen Norden der Vereinigten Staaten, gesteuert durch die eigene innere Leere und der Erkenntnis, nicht mehr in die regulierte, normierte Welt zu passen.

Noch dieses Jahr - voraussichtlich in Cannes - will Terrence Malick sein neuestes Werk, seinen bis dato fünften Spielfilm erstmals zur Schau stellen. "The Tree of Life", so der Titel der heißerwarteten Produktion, leitet scheinbar eine kreative und produktive Phase des Regisseurs ein, denn sein nächstes Projekt befindet sich ebenfalls bereits in der Post-Production. Damit dürfte das laufende Jahrzehnt das erste seit den 1970ern sein, in denen Malick zweimal den Weg ins Kino findet. Zusammen mit dem 1978 erschienenen "Days of Heaven", einer zauberhaft gefilmten Romanze zu Beginn des Industriezeitalters, bildet "Badlands", Malicks erster Spielfilm, das Duo des besagten Jahrzehnts. Interessant ist, dass die beiden Erstlingswerke in ihren Motiven den späteren Filmen Malicks durchaus ähneln, so findet sich wiederholt eine Huldigung der Natur oder gar eine Ode ans Leben, das Streben nach Freiheit und der Facettenreichtum der Liebe, doch sowohl technisch als auch narrativ differieren die Früh- und die Spätwerke stark. Besonders der Schnitt und damit verbunden der Erzählstil haben sich über die Jahre weiterentwickelt. Während "Badlands" und "Days of Heaven" vollkommen chronologisch laufen, ohne sich Rückblenden zu bedienen, setzen "The Thin Red Line" und "The New World" auf elliptische, ineinander verwobene Erzählstränge.
Charakteristikum Malicks:
Scheinbar endlose Felder
Bereits in "Badlands" verarbeitete Malick eines seiner liebsten Motive: Den Ausbruch aus der momentanen Situation zur Erlangung der Ungebundenheit, der vollkommenen Libertät. Als Auslöser dieser plötzlichen Handlung, dieses impulsiven Herumreißens des Steuers dient wie so oft die Beziehung der beiden Hauptfiguren. Beeindruckend jedoch ist, dass Malick uns den Blick in die Psyche der Charaktere nimmt, selbst das von ihm meist so eindrucksvoll poetisch genutzte Erzählen via Voice-over dient hier mehr als Mittel zum Zweck, und findet nicht wie in seinen späteren Werken Verwendung als Anstoß zum philosophischen Gedanken beim Rezipienten. Hier jedoch verzichtet Malick bewusst auf die charakterliche Tiefe, um die innere Leere seiner Figuren auszudrücken. Selbst die von ihnen begangenen Morde scheinen sie nicht aus der Bahn zu werfen, nein, sie scheinen sie nicht einmal zu beschäftigen. Sie sind zwei verlorene, vereinsamte Seelen, die einander gefunden haben und ihren Weg, ihr Streben nach Freiheit, gemeinsam fortsetzen. Und wie ließe sich dies imponierender ausdrücken als durch die scheinbar endlosen Felder der Prärie?

Faszinierend ist auch, dass Malick das spontane und überaus brutale Handeln Kits und Hollys nie als Konsequenz einer psychischen Störung begründet, sondern seine beiden Hauptfiguren als kerngesund präsentiert. Er erklärt dadurch, dass das Aufsuchen der Einsamkeit und der Lustlosigkeit keineswegs auf eine psychische Krankheit zurückzuführen ist, sondern eine natürliche Facette des  menschlichen Lebens bildet. Und auf mir unbegreifliche Weise gelingt es Malick mit limitiertem Budget selbst in seinem Erstlingswerk "Badlands" in seinen pittoresken Bildern Gefühle auszudrücken, für die kein Dialog je die richtigen Wörter finden könnte.

Mittwoch, 23. Februar 2011

Broken mirrors and broken minds.

Suspiria
(Dario Argento, 1977)

Die ambitionierte amerikanische Tänzerin Suzanne Banyon (Jessica Harper) entscheidet sich ihr Studium im Ausland auf einer renommierten Freiburger Ballettschule fortzusetzen. Am Tag ihrer Ankunft beobachtet sie eine verwirrte Schülerin, die angsterfüllt aus den Toren der Schule flieht. Ihr selbst bliebt scheinbar aufgrund der späten Stunde der Einlass verwehrt, weswegen sie spät nachts im strömenden Regen anderswo Unterkunft finden muss. Am nächsten Morgen wird sie von den beiden Leiterinnen der Schule, Madame Blanc (Joan Bennett) und Frau Tanner (Alida Valli), im Internat Willkommen geheißen. Bei ihrem ersten Rundgang durch die Schule schnappt Suzy einen Teil eines Gesprächs zwischen Madame Blanc und der Polizei auf, durch welches sie erfährt, dass das verstörte Mädchen aus der Nacht zuvor, Opfer eines Mordes geworden ist, bei dem auch noch eine weitere junge Frau den Tod gefunden hat, kann sich darauf jedoch zu Beginn noch keinen Reim bilden. In die Gruppe der anderen kann sich Suzy anfangs nur schwer integrieren, findet allerdings in Sandra (Stefania Casini) eine Freundin, die ihr zur Seite steht. Als Suzy erstmals ihr Können vor Frau Tanner unter Beweis stellen soll,  verpatzt sie ihren Auftritt und verliert aufgrund einer Schwächeattacke das Bewusstsein. Nach ihrer Genesung wird sie Abend für Abend von starker Schläfrigkeit geplagt, wodurch Sandras Verdacht geweckt wird, vermutend, dass es auf der reputablen Tanzschule nicht mit rechten Dingen zugeht.

"Suspiria" war der erste vollständig in englischer Sprache gehaltene Film des italienischen Giallo- und Horrorfilmgiganten Dario Argento. Bereits sein zwei Jahre zuvor erschienene "Rosso - Die Farbe des Todes", ein Film über einen von  Erinnerungen seiner Kindheit geplagten Mörder, bedient sich partiell der englischen Sprache, spielt jedoch - wie auch seine ganz frühen Werke - im zeitgenössischen Italien. In "Suspiria" hingegen versuchte Argento erstmals ein breiteres, internationales Publikum anzusprechen, legte die Handlung in der deutschen Stadt Freiburg an (wenn auch großteils in München gedreht) und engagierte sowohl italienische als auch deutsche und amerikanische Darstellerinnen und Darsteller. Trotz dieser Anpassungen blieb Argento seinem eigenwilligen Stil auch in "Suspiria" weitgehend treu, setzte auf seine bewährte, narrativ eher holprig wirkende Inszenierung, evozierte eine weitgehend bedrückende Atmosphäre und spielte sich mit Illusion und Wahrheit, am deutlichsten wohl durch die märchenhafte Farbgebung und die sehr abwechslungsreiche, rasch in den Perspektiven wechselnde, Kameraführung exprimiert.

Leider kommen mit dem phasenweise wundervoll atmosphärischen Regiestil Argentos auch seine gewohnten Probleme. Zum einen verliert "Suspiria"  durch seine unglaublich infantil wirkenden Figuren, deren jeweiliger Gedankengang und deren Handlungen stellenweise alles andere als nachvollziehbar sind, was jedoch zu einem großen Teil auch den hemmungslos überagierenden Schauspielern zu verdanken ist. Auch dramaturgisch fühlt sich Argentos Regie beinahe dilettantisch  an, ein Spannungsbogen kommt im Grunde nie zu Stande, zu prononciert setzt Argento seine Schockszenen ein. So eindrucksvoll sie in sich selbst abgeschlossen auch sein mögen, diese Klimaxe schaden der Gesamtheit des Films im Endeffekt schwer. Was zurückbleibt ist ein Versuch sich innerhalb des Genres zu etablieren, was bei Horrorfans gelungen sein mag, doch cineastisch ist "Suspiria" alles andere als ein Geniestreich.

Freitag, 18. Februar 2011

You Freud, me Jane?

Marnie
(Alfred Hitchcock, 1964)

Nach einem erfolgreichen Diebstahl gelingt es der krankhaften Kleptomanin Marnie Edgar (Tippi Hedren) mit der Beute zu entkommen. Es ist nicht ihr erster Diebstahl gewesen, schon einige Male zuvor ist es ihr gelungen, ohne Referenzen als Sekretärin in verschiedensten Firmen eingestellt zu werden, um in einem Moment der Unachtsamkeit das Vertrauen ihrer Vorgesetzten zu missbrauchen und das, im Tresor verwahrte, Geld einzusacken. Der verwitwete Verleger Mark Rutland (Sean Connery) ist ein treuer Kunde des jüngsten Opfers der zwanghaften Diebin und wird durch diesen Umstand und das Verbrechen auf die Kriminelle aufmerksam gemacht. Kurze Zeit später meldet sich in seinem Verlagshaus eine graziöse, junge Frau zum Vorstellungsgespräch für einen freigewordenen Posten als Sekretärin. Rutland erkennt die Diebin wieder, entlarvt sie jedoch nicht als Kriminelle, sondern stellt sie trotz fehlender Referenzen und mangelnder Erfahrung aus purer Faszination bei sich ein. Trotz ihrer Vergangenheit fühlt sich Rutland zu seiner neuen Angestellten hingezogen, entwickelt schon früh eine Affektion, die jedoch von seinem Gegenüber nicht erwidert wird. Dennoch lernt  er Marnie ein wenig kennen, bemerkt, dass sie eine anormale Angst vor Stürmen und bestimmten Farben empfindet und in ihrer Frigidität eine starke Ablehnung gegenüber Männern hegt, die seine persönliche Zuneigung zu ihr jedoch nicht schwächt. Als auch er den Tresor seiner Firma geplündert auffindet und von seiner neuen Sekretärin jede Spur fehlt, macht er sich auf die Suche nach ihr, geleitet von seiner Begeisterung für die mysteriöse Kleptomanin.

Es ist kein Geheimnis, dass Hitchcock ein Faible für Freuds Psychoanalyse  und Theorien empfand, und dies bereits ab den 40ern in sein Werk einfließen ließ, am gelungensten wohl in "Vertigo" und "Psycho", am deutlichsten wohl in "Spellbound" oder eben auch in "Marnie". Selbst für Hitchcocks Verhältnisse ist die Betonung der Maskulinität der blonden Heldin in "Marnie" außergewöhnlich ausgeprägt, das klischeebehaftete Geschlechterbild dadurch aus den Angeln hebend. Der Grund für das frigide Sein der weiblichen Hauptfigur findet sich ihrer Kindheit, in einem Trauma, ausgelöst durch ein einschneidenes Erlebnis, demonstrativ an Freud angelehnt. Es geht sogar so weit, dass Rutland Marnie in einer Szene darum bittet, sich von ihm analysieren zu lassen, um sich ihm in Form von freier Assoziation auszuschütten. Zynisch entgegnet ihm Marnie, "You Freud, me Jane?", einerseits auf den Psychoanalytiker und andererseits auf "Tarzan" anspielend, wo die zerbrechliche, ängstliche Heldin den Namen "Jane" trägt. Der Zynismus ist  hier zwar durch einen Charakter an das Geschehen angelehnt, jedoch lässt er sich auch auf den Film selbst anwenden, denn Hitchcocks "Marnie" verfährt sich während seiner Laufzeit zunehmend in den Freud'schen Ansätzen, und porträtiert einen traumatisierten Menschen nach psychologisch längst überholten Maßstäben.

Untypisch für Hitchcock ist auch, wie schwer es ihm in "Marnie"  trotz zahlreicher Versuche fällt, Spannung aufzubauen. Besonders in Anbetracht seines ein Jahr zuvor erschienenen "Die Vögel" wirkt "Marnie" einfallslos und äußerst holprig in seiner Erzählung und seinem Spannungsaufbau. Natürlich muss man sich dessen bewusst sein, dass Hitchcock mit letzterem einen etwas anderen Weg einschlagen, sich einem anderen Erzählstil zuwenden wollte, dennoch ändert dies nichts daran, dass selbst die filmtechnischen Mittel, die Hitchcock in "Marnie" einsetzte, nicht einmal den damaligen Normen entsprachen, man nehme die Reitszene oder auch den deutlich erkennbar aufgemalten Hintergrund des Szenenbilds in einigen Sequenzen, um nur wenige Beispiele zu nennen.

Die Beute unterm Arm -
Die erste Einstellung in "Marnie"
Und trotzdem hat auch "Marnie" seine Hitchcock'schen Momente, so rar gesät sie auch sein mögen. Zum Beispiel die erste Einstellung des Films, in der man eine nicht erkennbare Frau mit einer Geldbörse unter dem Arm auf einen Bahnhof schreiten sieht. Es folgt ein Schnitt und das einleitende Wort des Films: "Robbed!". Quasi eine freie Assoziation zur direkt zuvor präsentierten Einstellung. Auch das Darstellerensemble macht seine Sache gut, allen voran Connery, der in seiner Rolle regelrecht aufgeht, und auch die ansonsten sehr blasse Tippi Hedren, die selten Akzente zu setzen weiß, spielt in "Marnie" groß auf. Am Gesamtbild ändert dies jedoch wenig, denn "Marnie" zählt unweigerlich zu den schwächsten Werken Hitchcocks, zu verbissen versucht er ein psychologisches Portrait zu schaffen, nimmt dem Film phasenweise den Schwung und präsentiert uns ein Ende, das sich bereits viel zu früh abzeichnet.

Samstag, 12. Februar 2011

Love can change a person.

墮落天使
Fallen Angels
(Wong Kar-Wai, 1995)

Der Auftragskiller Wong Chi-Ming (Leon Lai) fühlt sich im Hongkong der 90er Jahre nach einer mehrjährigen Zusammenarbeit zu seiner Partnerin (Michelle Reis) hingezogen, obwohl sich die beiden in all den Jahren nur äußerst selten von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden sind. Seine Vorstellungen von einer funktionablen Geschäftsbeziehung setzen jedoch voraus, keine emotionale Affinität zu seinen Partnern und Partnerinnen aufzubauen, weswegen er den Entschluss fasst, nach seinen nächsten Aufträgen die Partnerschaft zu beenden. Was er nicht weiß, ist, dass seine Partnerin eine ähnliche Anziehung ihm gegenüber empfindet, diese aus Schüchternheit jedoch verschweigt, sich selbst in eine sexuell-obsessive Phantasie drängend. Sie spürt, dass Chi-Ming im Begriff ist, ihre gemeinsame Beziehung zu durchtrennen, versinkt deshalb zunehmend in eine tiefe Hoffnungslosigkeit, ausgelöst durch das abweisende Gebaren ihres desillusionierten Vertrauten. Gleichzeitig versucht der verstummte Herumtreiber He Zhiwu (Takeshi Kaneshiro) auf unkonventionellste Art und Weise auf sich aufmerksam zu machen und die Welt ein klein wenig zu verändern. Mit einem unbeschwerten Labsal streift er durch das grell illuminierte Hongkong der Nacht, dringt in abgeschlossene Läden und zwingt ängstliche Passanten zur Annahme seiner Dienstleistungen. In seiner Leichtigkeit driftet er durchs Leben, bis auch er der Liebe verfällt.

Der konstante Einsatz von Weitwinkelobjektiven
prägt die Optik von "Fallen Angels"
"Fallen Angels" ist einer dieser wenigen Filme, die es schaffen, eine einzigartig distinktive Optik zu kreieren, diese bis zur Vollendung zu betonen, und dabei dennoch eine Geschichte zu erzählen, die diesem Look würdig ist. Das australische Exportgut Christopher Doyle zählt mittlerweile zweifellos zu den Ausnahmekönnern in seiner Branche, und untermauerte dies durch seine Kameraführung in "Fallen Angels" eindrucksvoll. Im Zusammenspiel mit der traumhaften Inszenierung Kar-Wais und dem herausragenden Schnitt von William Chang und Ming Lam Wong erschuf er praktisch eine eigene Bildsprache, geprägt von einer selektiert eindringlichen Farbgebung, der Variation in der Schnittfrequenz und einem unbeschwerten Zusammenspiel verschiedener Kameraobjektive, -filter und Einstellungsgrößen, um den rezeptiven Zugang für den Zuseher möglichst vielseitig zu modifizieren. Wie umfangreich Wong Kar-Wais Film allein optisch ist,  lässt sich nur schwer beschreiben. Man erlebt eine Mischung aus der kühlen, schnellgeschnittenen Mechanisierung scheinbar alltäglicher Prozesse, der farbenfrohen vitalen, emotionalen Welt, die die Protagonisten durchschreiten, dem expressiven Einsatz der Monochromie und aus Einstellungen, in denen das Geschehende den physikalischen Grundgesetzen zu widersprechen scheint, dies jedoch auf derart subtil verträumte Weise,  dass man es einfach nur als wunderschön bezeichnen kann.

Eine kräftige Farbgebung dominiert das Bild
Die Geschichten, die in "Fallen Angels" erzählt werden, sind einerseits skurrile Episoden extravaganter Persönlichkeiten, die zurückgezogen in ihren eigenen Welten leben, andererseits sind sie jedoch auch von einer Tragödie durchsiebt, scheinen sich allesamt in eine emotionale Sackgasse verfahren zu haben, ohne Perspektive, ohne Zukunft. Und dennoch droht Kar-Wais Film nie in die Belanglosigkeit abzudriften, zu tiefgründig sind seine Charaktere, ebenso ihre Handlungen und zu respektvoll ist des Regisseurs Umgang mit ihnen. Häufig wird der Part um den stummen Bummler als Negativpunkt in der Handlung gesehen, der Stilbruch sei zu groß, der groteske Humor sei unpassend, doch im Grunde zeichnet dieser Teil durch seinen kontrastierenden Effekt zum vorhergehenden Erzählstrang "Fallen Angels" als Gesamtwerk erst richtig aus. Denn trotz dieser Diskrepanz verbinden sich die beiden Geschichten in ihren Motiven, ihren Figuren und deren Motivationen vollkommen unbekümmert; sie sind verlorene Seelen, abgegrenzt von gesellschaftlichen Normen, gelenkt durch Gefühle, Affekte auf der Suche nach einem Konsens mit sich selbst und der Liebe.

In impressiven Bildern erzählt Wong Kar-Wai in seinem Film "Fallen Angels" eine Geschichte über Liebe, Obsession, Ideale, Enttäuschung und Schicksal. Ein Film der eindrucksvoll erläutert, warum der Autorenfilmer aus Shanghai mittlerweile zu den angesehensten Arthouse-Regisseuren der Welt gezählt wird.

Donnerstag, 10. Februar 2011

Schreckgespenster.

Nosferatu
(Friedrich Wilhelm Murnau, 1922)

Der okkulte Graf Orlok (Max Schreck) schickt ein Schreiben in die fiktive deutsche Hafenstadt Wisborg, um beim ortsansässigen Häusermakler Knock (Alexander Granach) um Auskunft zu fragen, ob in der besagten Stadt ein Domizil zum Verkauf stehen würde. In ekstatischer Stimmung, ausgelöst durch des Grafen unerwartete Epistel, schickt der Makler seinen jungen Angestellten Hutter (Gustav von Wangenheim) zum Schloss des Grafen in die Karpaten, um dem potentiellen Kunden ein verfallenes Haus in Wisborg anzubieten. Hutters, mit ihm frisch verheiratete, Ehefrau Ellen (Greta Schröder) ahnt Böses, reagiert sprachlos auf ihres Mannes Neuigkeiten in Erwartung von etwas Schrecklichem. Hutter versucht sie nicht einmal zu beruhigen, zu immens ist die Freude über den eminenten Auftrag, zu groß ist die Hektik, der er ausgesetzt worden ist. Auf schnellstem Wege reist er gen Osten nach Transsilvanien, wo sich das Schloss des Grafen Orlok befindet, der dort scheinbar abgeschnitten von jeglichem zwischenmenschlichen Kontakt zu hausen scheint. 

Neben Langs "Dr. Mabuse, der Spieler" von 1922 und Wienes "Das Cabinet des Dr. Caligari" von 1920 zählt auch Friedrich Wilhelm Murnaus "Nosferatu", basierend auf Bram Stokers legendärem "Dracula", zu den bedeutendsten Werken des Deutschen Expressionismus. Und das, obwohl sich Murnau in "Nosferatu" weitgehend von den verzerrt surrealistischen Kulissen des Expressionismus distanzierte, sich an naturgetreuen Szenerien orientierend. Nur vereinzelt wurde auf groteske Bühnenbilder gesetzt, diese jedoch wirken kaum gezielt als solche eingesetzt, sondern fungieren eher als Mittel zum Zweck, denn die filmischen Möglichkeiten der damaligen Zeit waren begrenzt, Kamera- und Beleuchtungstechniken waren besonders bei nächtlichen Außenaufnahmen unzuverlässig, weswegen Regisseure zu Tricks greifen mussten. So auch Murnau, der in "Nosferatu" sporadisch auf derartige Effekte setzte. Den Expressionismus findet man jedoch im Schauspiel wesentlich deutlicher wieder, am markantesten wohl in der übertriebenen Gestik und der intensiven Betonung von Gefühlen.

Der Schatten des Vampirs zur
atmosphärischen Intensivierung
"Nosferatu" gilt nicht nur Dank der nachhaltig wirkenden Performance Max Schrecks als wichtiger Vertreter des frühen Horrorfilms während der Stummfilm-Ära, sondern veränderte das Genre auch aufgrund des grandiosen Einsatzes einiger Stilmittel fortwährend. Zum Beispiel setzte Murnau schon damals auf gezielte Beleuchtung und erkannte, dass das Spiel mit Licht und Schatten erheblich zur Atmosphäre beitragen kann. So bediente er sich zum Beispiel dieser Technik, um die Spannung vor der Schlussszene zu intensivieren. Der Schatten, der dem Bösen vorauseilt, hat sich mittlerweile, basierend auf dem damals überaus originellen Werk Murnaus, als beliebtes stilistisches Mittel in Horrorfilmen etabliert. Auch der für Stummfilme ungewohnt schnelle Schnitt in Murnaus "Nosferatu" lässt sich als Vorreitermodell sehen, auch wenn sich Murnaus Fokus auf Blenden aller Art in aktuelleren Werken äußerst selten wiederfinden lässt. Besonders die, von Murnau so hemmungslos exzessiv eingesetzte, Loch-Überblende findet sich im zeitgenössischen Film nicht mehr, ist praktisch ausgestorben, und wirkt nicht zuletzt deshalb sehr befremdlich.

Interessant sind auch die zahlreichen Anekdoten und Legenden um den Film, insbesondere um die Rolle und das Schauspiel Max Schrecks. Ein Teil des Films wurde damals in der Slowakei gedreht, wo die Bewohner des Drehorts eher ängstlich auf das Aussehen des Hauptdarstellers reagierten, wodurch letztlich der Mythos entstand, dass Max Schreck tatsächlich ein Vampir sei. Diese Legende griff Edmund Elias Merhige 78 Jahre später für "Shadow of the Vampire", einer Hommage an Murnaus Stummfilm, wieder auf. Kein Einzelfall, denn "Nosferatu - Eine Symphonie des Graunes", wie der Film vollständig heißt, wirkt noch heute nach, resoniert nachwievor in zahlreichen zeitgenössischen Horrorfilmen, sich somit als genreprägenden Film etablierend.

Dienstag, 8. Februar 2011

Seeing shadows only.

Il Conformista
Der große Irrtum
(Bernardo Bertolucci, 1970)

In den 40er Jahren, an einem zu diesem Zeitpunkt noch unbekannten Ort steigt Marcello Clerici (Jean-Louis Trintignant) in ein Auto, um sich von dessen Fahrer Manganiello (Gastone Moschin) zur Ausführung eines Auftrags chauffieren zu lassen. Angeregt durch den Dialog mit dem Lenker erfahren wir während dieser Autofahrt einen Einblick in eine anachronistische Aneinanderreihung von assoziierten Erlebnissen aus Marcellos Leben, eine Rekonstruktion der Geschehnisse bis zum aktuellen Zeitpunkt.
Im faschistischen Italien unter der Führung Mussolinis wird der junge Römer Marcello 1938 durch seine Beziehung zum überzeugt faschistischen Blinden Italo (José Quaglio) bei der Geheimpolizei eingestellt. Privat steht Marcello zu dieser Zeit kurz vor seiner Hochzeit mit einer naiven, einfachen Frau der Mittelschicht, Giulia (Stefania Sandrelli), die ihn inständig darum bittet, vor der Zeremonie bei einem Pfarrer noch einmal die Beichte abzulegen, da dieser die beiden sonst nicht trauen werde. Bei besagtem Schuldbekenntnis erzählt er von einer traumatischen Episode seiner Kindheit, die ihn noch bis ins Erwachsenenalter verfolgt. Dieses Trauma und seine brüchige Beziehung zu seiner morphiumsüchtigen Mutter und seinem ehemals faschistischen Vater, der in seinem Anteil an der Verfolgung und Folter nichtfaschistischer Bürger aus starken Schuldgefühlen in eine Irrenanstalt geflohen ist, bestärken Marcellos Streben nach einer gesellschaftlichen Normalität, die er zu erlangen sucht, indem er dem Konformismus verfällt, sich stets an die politischen und gesellschaftlichen Normen anpassend.

"Der große Irrtum" war der erste kommerziell erfolgreiche Film Bertoluccis, dem die Kritiker während seines frühen Werks nachsagten, zu sehr von seinem großen Vorbild Jean-Luc Godard abzukupfern. Tatsächlich verneinte Bertolucci seine Verehrung Godard gegenüber nie, bezeichnete ihn gar als cineastischen Revolutionär und als Lehrmeister seiner Wenigkeit. Es ging sogar so weit, dass der damals 28-jährige Italiener 1968 in seiner damals dritten Regiearbeit  "Partner" seinen persönlichen Stil vollständig aufgab, und offenkundig versuchte, sein Vorbild nachzuahmen. Neben den Kritikern nahm auch Godard selbst diese stilistische Hingabe eher negativ auf, wodurch sich Bertolucci dazu bewegt fühlte, "Der große Irrtum", ein Film basierend auf einem Roman, künstlich ausgeleuchtet, sprich befreit von den Normen der Nouvelle Vague, zu drehen. Zwar sind die Querverweise auf Godard hier nachwievor präsent, doch diese sind weitaus kritischer, deutlich negativ angehaucht, unterschwellig als diffiziler Racheakt oder subtile Abrechnung mit dem einstigen Vorbild  agierend. "Der große Irrtum" war das erste Ringen nach Unabhängigkeit Bertoluccis, eine eindrucksvolle Darlegung seines Könnens.

Bertoluccis "Der große Irrtum" arbeitet auf zahlreichen Ebenen, bietet eine ganze Reihe von interpretatorischen Ansätzen, in jedem Medium eine eigene Aussage versteckend. Zum einen stellt er eindeutig eine Abrechnung mit einer politischen Bewegung, dem Faschismus, dar. Bertolucci selbst war Kommunist, trat zwei Jahre vor den Arbeiten zu "Der große Irrtum" der kommunistischen Partei Italiens bei und ließ dies merklich in seinen 1970 erschienenen Film einfließen.  Schon während des Vorspannes präsentiert uns Bertolucci in Form einer Neonreklame für Jean Renoirs "Das Leben gehört uns" von 1936 seine Einstellung zum Faschismus in kräftiger Farbe, denn Renoirs Film diente damals als Unterstützung des Wahlkampfs der kommunistischen Partei Frankreichs. Außerdem kritisiert Bertoluccis Film den bürgerlichen Hang sich an die Masse anzupassen, die Neigung zur Konformität. Am Beispiel Marcellos wird diese Konformität zwar durch eine traumatische Kindheit verursacht, jedoch ist sie, die Konformität, es wiederum, die zum Faschismus führt. Der Faschismus als Konsequenz einer seelisch erschütterten Kindheit ist ein Thema das auch Michael Hanekes "Das weiße Band" von 2009 in etwas nuancierterer Form behandelt.


Pompöse Bilder dominieren Marcellos
Erinnerungen
Ein bedeutender Teil der Genialität des Films lässt sich auch auf Vittorio Storaros atemberaubend vielseitige Kameraführung zurückführen. Die Kamera dient in "Der große Irrtum" als subjektives Fenster, das das Geschehen und die Erinnerungen aus der Sicht des Protagonisten wiedergibt. Es lässt sich dadurch auch nicht ausschließen, dass Marcello im Schwelgen in der Vergangenheit  mehrere Erinnerungen vermischt oder einzelne verzerrt, denn besonders seine Rückblicke zum Hauptquartier der Geheimpolizei sind geprägt durch surreal illustre Aufnahmen von üppigen Sälen und breiten Gängen, die durch ihre gewollte Farblosigkeit und ihre gezielte Beleuchtung beinahe eintönig wirken. Ein gewollter Effekt, denn in den verblassten Erinnerungen Marcellos ist der Detailreichtum verloren gegangen. 
Die Mauer als Ausdruck der Isolation
Storaro lässt die Kamera auch für das Befinden des Charakters sprechen, indem er durch leicht schräge Bildachsen, variationsreiche Dolly-Zooms und perfekt eingesetzte Kamerafahrten Gemütszustände andeutet, eine Technik, die in jüngster Vergangenheit Benoît Debie perfektioniert hat. Bei Storaro liegt ein besonderer Fokus darauf, Marcellos Isolation ständig unterschwellig darzustellen, sei es durch die geometrischen, architektonischen Eigenschaften der Gebäude, in denen er sich aufhält, oder auch durch die Erschaffung imaginärer Barrieren, die ihn von seinen Mitmenschen abgrenzen. In einer Szene zum Beispiel unterhält sich Marcello mit seiner Ehefrau durch eine offene Tür, jedoch wählt Storaro die Position der Kamera so geschickt, dass wir die Tür nur erahnen können, während wir die Trennung der beiden Figuren durch eine Mauer wahrnehmen, die den oder die jeweilige(n) in seine Räumlichkeit sperrt, die Isolation dadurch ausdrückend.

Das Licht, gespalten durch die Jalousien,
als Käfig der Ehe

Platons Höhlengleichnis wird in Bertoluccis "Der große Irrtum" große Bedeutung eingeräumt. Das Gleichnis geht von Gefangenen aus, die seit ihrer Geburt mit den Rücken an eine Mauer gefesselt sind, deren Höhe sie nicht erreichen können, ihre Augen stets auf die gegenüberliegende Höhlenwand gerichtet. Hinter der Mauer brennt eine Kerze, während freie Männer Statuen zwischen der Kerze und der Mauer vorbeitragen, wodurch Schatten auf der, für die Gefangenen sichtbaren, Höhlenwand entstehen. Platon ging davon aus, dass sich die Gefangenen aus diesen Schatten ihre Realität bilden würden, und wenn man einen freiließe und ihn ans Sonnenlicht führe, um ihm die wahre Realität zu zeigen, so würde er zurück in der Höhle im Zuge seiner Berichte auf Ablehnung stoßen oder gar getötet werden. Mit bemerkenswertem Einsatz von Schatten und Licht präsentiert Bertolucci in einem Dialog den allegorischen Wert des Gleichnisses. Doch nicht nur in dieser Szene besticht der Film durch sein Spiel mit Licht und Schatten, nein, denn durchgehend wird die Beleuchtung und der Kontrast zwischen dunkel und hell als Stilmittel eingesetzt.

"Der große Irrtum" ist ein Prachtstück von einem Film, eine Perle der Filmgeschichte, ein Geniestreich in Narration, Bildsprache und Schauspiel abgerundet durch Bertoluccis fantastische Inszenierung. Matthew Libatique hat vor kurzem erklärt, dass es "Der große Irrtum" und vor allem Vittorio Storaros umwerfende Kameraarbeit gewesen seien, die ihn dazu bewegten haben, Kameramann zu werden.  Und wen wundert das bei einer derart phänomenalen Bildgewalt, wie sie "Der große Irrtum" vorzuweisen hat?

Sonntag, 6. Februar 2011

Exterminating all rational thought.

Naked Lunch
(David Cronenberg, 1991)

Ein zahlreiche Male gescheiterter Kammerjäger, William "Bill" Lee (Peter Weller), sieht sich im New York der 50er Jahre mit dem Problem konfrontiert, dass sein virulentes Insektizid regelmäßig geraubt wird. Sein Chef macht ihn dafür verantwortlich, weist ihn ein wenig zurecht, in der Meinung, dass Bill es ist, der das Insektengift unterschlägt. Zuhause erkennt Bill, dass es seine Frau Joan (Judy Davis) ist, die das Gift gestohlen hat und sich als Halluzinogen spritzt, um, wie sie es beschreibt, einen literarischen Rausch zu erleben, auf Kafka und dessen "Die Verwandlung" anspielend. Kurzerhand entscheidet sich Bill dazu, sich ebenfalls einen Schuss der obskuren Droge zu setzen und schlittert erstmals in eine bizarre Welt. Bei der Arbeit bitten ihn zwei Polizisten, mit ihnen aufs Revier mitzukommen, wo Bill anschließend einem Verhör unterzogen wird, mit der Begründung, er wäre im Besitz von suchterzeugenden Substanzen. Vor ihnen soll er demonstrieren, dass das Pulver, das er zum Töten von Ungeziefer verwendet, auch wirklich ein Insektizid ist. Aus einer Schachtel nehmen sie einen überdimensionalen Käfer, legen ihn ins scheinbar giftige Pulver und verlassen den Raum, um, wie sie erklären, später wiederzukommen und zu sehen, ob das Kerbtier noch am Leben ist. Der Käfer entpuppt sich als Organisator dieses Treffens und befiehlt Bill seine Frau Joan zu töten.

Bei einer hypothetischen Diskussion über die kreativsten und originellsten Regisseure der letzten vierzig Jahre ließe sich David Cronenberg nur sehr schwer exkludieren, denn mit seinem grotesk surrealistischen Stil hat er sich unlängst einen Namen gemacht und gilt mittlerweile gar als Begründer eines eigenen Subgenres, dem Body Horror. Was seine Filme auszeichnet, sind ihre skurrilen Bilder und ihre meist düstere Atmosphäre, gekennzeichnet durch den körperlichen Verfall eines Menschen, meist in blutigen und höchst bizarren Formen dargestellt. "Naked Lunch" basiert auf dem 1959 erschienenen, gleichnamigen Roman William Seward Burroughs', welcher über Jahre hinweg als nicht verfilmbar bezeichnet wurde, da seine bildhaften Darstellungen in eine cineastische Form nicht übersetzbar gewesen seien. Cronenberg versuchte es dennoch und bediente sich in seinem Drehbuch zusätzlich autobiografischer Geschehnisse Burroughs'. Trotz des Bekanntheitsgrades der Vorlage und dem in den 90er Jahren bereits namhaften David Cronenberg hinter der Kamera floppte "Naked Lunch" an den Kinokassen und avancierte erst später zum Kultfilm.

Cronenbergs Inszenierung ist auch in "Naked Lunch" gewohnt großartig, geprägt von unsagbarem Einfallsreichtum und einer perfektionistischen Liebe zum Detail. Besonders die künstlich erstellten Charaktere gefallen durch ihre fantastische Machart und extrem realistische Feinmotorik. Allerdings hat dies auch seine Schattenseiten, ein Problem das in einigen Filmen Cronenbergs akut ist, denn das Talent diese surrealistischen Figuren und Masken zu bilden, setzt Cronenberg oftmals zu exzessiv ein, versucht seinem langsamen Erzählfluss auf diese Weise Schwung zu geben, scheitert jedoch häufig. Ähnliche Schwierigkeiten hatte auch "Videodrome", ein kritischer Film über die Darstellung von Sex und Gewalt im Fernsehen, dessen Handlung sich gegen Ende auf eine Aneinanderreihung abstrus halluzinativer Szenen beschränkt. "Naked Lunch" unterscheidet sich davon kaum, driftet in ein Meer surrealer Ereignisse ab, ohne einen handfesten Bezug zur Realität zu wahren, weitgehend auch befreit von Metaphern und Allegorien. Was schade ist, denn das Talent kann man Cronenberg nicht  absprechen, seine Inszenierungen sind stark, doch das Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit ist ein wiederkehrendes Erschwernis in seinen Filmen, das den Zugang zu ihnen unnötig verkompliziert. Ein Problem, das jedoch eher bei seinen älteren Werken besteht, denn in den jüngsten Jahren neigt er zu  konventionelleren und direkten Filmen, was ich in seinem Fall sehr begrüße.

Donnerstag, 3. Februar 2011

Wenn unser Blick was Ungeheures sieht ...

In einem Jahr mit 13 Monden
(Rainer Werner Fassbinder, 1978)

Als verwaistes Kind einsam in einem katholischen Kloster aufgewachsen, später zum Schlächter erzogen, mit der Tochter des Metzgers Irene (Elisabeth Trissenaar) verheiratet und  wieder geschieden und als Vater einer Tochter hat sich Erwin (Volker Spengler) einst entschieden, sich aufgrund einer nicht erwiderten Liebe zu einem Mann (Gottfried John) einer Geschlechtsumwandlung zu unterziehen, um als Elvira neues Glück zu finden. Doch trotz ihres neuen Äußeren, ihrer unberührten Hülle, gelingt es ihr nicht diese ersehnte Glückseligkeit zu erreichen, in eine emotionale Leere driftend. Sie verdient ihr Geld als Barkeeperin und Prostituierte, streift tagsüber durch Frankfurt auf ihrer Suche nach dem Verständnis und den Respekt, den sie verdient. Ihr Lebensgefährte beschließt Elvira kurzerhand zu verlassen, nicht zum ersten aber vielleicht zum letzten Mal und in ihrer Einsamkeit wendet sie sich an die ihr am nächsten Mitmenschen, ihre Freundin Zora (Ingrid Caven) und an Irene, doch letztlich sucht sie nach Mitgefühl und Liebe in ihrer Vergangenheit, fest entschlossen ihre verflossene Liebe Anton aufzuspüren. Auch das Dasein als Fleischhauerin möchte sie wieder aufgreifen, doch von allen Seiten stößt sie auf Unverständnis, auf Ablehnung, kommt immer weiter vom Kurs ab, zunehmend den Zugang zur Gesellschaft und ihren Mitmenschen verlierend, ihre einzige Hoffnung daran klammernd, in ihrem einstigen Herzensbrecher die Liebe wiederzufinden.

"In einem Jahr mit 13 Monden" war eines der späteren Werke  Rainer Werner Fassbinders, der 1982 überraschend verstarb. Trotz seiner komprimierten Schaffensperiode von etwa 15 Jahren umfasst Fassbinders Filmografie über 40 Werke, von Kurzfilmen, über Spielfilme und Mini-Serien. Neben Wenders, Schlöndorff und Herzog zählt man ihn zu den wichtigsten Vertretern des Neuen Deutschen Films, der im Zuge der Protestbewegung von 1968  bis Ende der 70er-Jahre seine Blütezeit erlebte. Besonders Fassbinders Filme gelten als intensive, ehrliche und oft persönliche Beiträge zur deutschsprachigen Filmgeschichte, und eben das lässt sich auch von "In einem mit 13 Monden" behaupten. In seinem Film verarbeitete Fassbinder den Tod seines ehemaligen Lebensgefährten, der sich kurz nach der Trennung der beiden das Leben genommen hatte.

Die Bewältigung der persönlichen Tragödie spiegelt sich als essentielles Motiv in "In einem Jahr mit 13 Monden" wider. In einem Moment der Einsamkeit, der Nachdenklichkeit stößt Elvira unvorhergesehen auf einen Selbstmörder. Was folgt ist ein Diskurs über den Sinn und die Bedeutung des Suizids und eine Erläuterung über die Absichten, Ziele und über die Motivationen desjenigen, der sich das Leben nimmt. Schopenhauer zitierend versucht der Selbstmörder Elvira auszulegen, was der Selbstmord bedeutet, in welchen Umständen er geschieht, und welche Rolle der Lebenswillen spielt:
"Der Selbstmörder will das Leben und ist bloß mit den Bedingungen unzufrieden, unter denen es ihm geworden ist. Daher gibt er keineswegs den Willen zum Leben auf sondern bloß das Leben, indem er die eigene Erscheinung des Lebens zerstört."
Ohne den moralischen Drang die fiktive Figur von ihrem letalen Vorhaben abzuhalten, behandelt Fassbinder diese kurze, unscheinbar direkte Episode über den Selbstmörder, ohne über die Tat zu urteilen oder sie im Gegensatz dazu zu ästhetisieren.

Die wohl bekannteste und berüchtigste Szene des Films ist die mehrminütige Fahrt durch ein Schlachthaus, wo vor der Kamera Kühen die Kehlen durchgeschnitten werden, während Elvira aus einem Voice-over von ihren Erfahrungen auf dem Metier des Metzgerdaseins erzählt und davon unabhängige Geschehnisse ihrer Vergangenheit zum besten gibt. Im Grunde demonstrativ wird in dieser Szene eine Passage aus Goethes "Torquato Tasso" zitiert, wo Antonio Montecatino, Staatssekretär der Stadt Ferrara, dem titelgebenden Helden im Bezug auf seine Besiegbarkeit erklärt:
"Wenn unser Blick was Ungeheures sieht, steht unser Geist auf eine Weile still."
Ein Satz, der nicht nur als konzise Definition der einen Szene an Bedeutung gewinnt, sondern als wiederkehrendes Sinnbild in einer ganzen Reihe von Einstellungen auftritt. Denn in vielen Fällen verpasst uns Fassbinder schon rein optisch einen knallharten Schlag in die Magengrube, uns für den Moment paralysierend, sodass uns das Gesagte oft vorenthalten bleibt, nur unser Unterbewusstsein ansprechend. Den Film in Einzelteile aufzuspalten und den Sinn jedes einzelnen vollends zu begreifen, ist kaum möglich, doch darum geht es hier auch gar nicht, denn "In einem Jahr mit 13 Monden" ist schon in geringerer Rezeption ein kritisches und unheimlich intensives Meisterwerk.

Dienstag, 1. Februar 2011

Action - The sole medium of expression for ethics.

Клопка - Die Falle
(Srdan Golubović, 2007)

Als Angestellter einer kleinen staatlichen Baufirma ist Mladens (Nebojša Glogovac) Einkommen marginal. Mit Hilfe seiner Frau Marija (Nataša Ninković), einer Englisch-Lehrerin an einer örtlichen Schule, hält er die Familie kämpfend über Wasser. Ihr Besitz ist gering, ihre Mietwohnung erschreckend klein, ihr Auto ein museumsreifes Ausstellungsstück, doch mit den nötigen Abstrichen in ihrem Leben kommen sie über die Runden. Das gilt, bis an ihrem Sohn Nemanja (Marko Durović) ein, mit fortschreitendem Alter wahrscheinlich tödlicher, Herzdefekt diagnostiziert wird. Die lebensnotwendige Operation wird in Belgrad aufgrund eines Mangels an Spezialisten nicht durchgeführt, weswegen die Eltern von einem Arzt des örtlichen Krankenhauses an eine Klinik in Deutschland verwiesen werden, wo der besprochene Eingriff durchgeführt werden kann. Doch der Preis übersteigt das Budget der Eltern bei weitem, was sie dazu drängt unter Zeitdruck das nötige Geld aufzutreiben. Ohne das Einverständnis des Vaters gibt die verzweifelte Mutter eine Anzeige auf, um die Not, in der sich die Familie befindet, bekannt zu geben, um die Hilfe von Unbekannten bettelnd. Der Vater fühlt sich in seinem Stolz verletzt, gleichzeitig erkennend, dass diese Anzeige seinen Sohn durch dessen scheinbare Fragilität innerhalb seiner Klasse zum Außenseiter macht. Doch die Anzeige führt zu einem unerwarteten Angebot eines anonymen Spenders, der Mladen das benötigte Geld bereitstellt, sofern dieser als einmaliger Auftragsmörder für ihn arbeitet. Mladens Verschwiegenheit seiner Frau gegenüber, und der Zwiespalt gegenüber dem moralischen Handeln treibt einen Keil zwischen das Paar, während die Mutter, eingesperrt in ihrem Käfig der auferzwungenen Handlungsunfähigkeit, am Zustand ihres Sohnes vollständig zu zerbrechen droht.   

"Die Falle" zählt zu den international erfolgreicheren Produktionen Serbiens der jüngsten Jahren, besonders innerhalb Europas wurde er bei zahlreichen Festivals mehrfach geehrt. Hollywood hat bereits 2008 angekündigt, eine amerikanische Neufassung des Stoffs zu kreieren, doch das Projekt scheint in der Produktion stecken geblieben zu sein. Seine Weltpremiere hatte Srdan Golubovićs Film bei der Berlinale, wo er zwar leer ausging, jedoch innerhalb Deutschlands einen gewissen Bekanntheitsgrad durch seine Vermarktung erlangte. Neben Serbien und Ungarn war auch Deutschland an der Produktion von "Die Falle" beteiligt, was vielleicht ein ausschlaggebender Fakt war, bei der Suche nach einem Festival für die Weltpremiere.

Golubović stellt in seinem Film die bekannt diskutable Frage, wie weit man gehen würde, um einen geliebten Menschen zu retten. Zu Beginn präsentiert er uns die perfekte Familienidylle, nicht einmal getrübt durch den ohnehin vorherrschenden finanziellen Notstand. Doch durch die Diagnose des Sohnes wird die Familie in einen destruktiven Wirbel gerissen, der diese Harmonie in kürzester Zeit zerfetzt. Allerdings geht Golubović dabei etwas stümperhaft vor, die Charaktere wirken unvollständig, besitzen kaum Tiefgang, ihre inneren Kämpfe wirken aufgesetzt und Golubovićs ewige Suche nach Konflikten, wo keine sind, schadet seinem Film zusätzlich. "Die Falle" sucht verbissen nach einem moralischen Ausweg aus einem konfliktträchtigen Irrgarten, der kein Ende kennt. Besonders Mladen wirkt in seinen Entscheidungen unmenschlich, inkonsequent, lässt sich letztlich so gar nicht charakterisieren, weil jedes Geschehnis ihn vollständig aus der Bahn zu werfen scheint, ihn neuerdings seine Entscheidungen anzweifeln lassend. Sein Handeln ist eine obskure Mischung aus Moral, Affekt und Impuls, in einem wirren Zusammenspiel, das ihn aufgrund seiner fehlenden Menschlichkeit zur blind agierenden Puppe werden lässt, völlig befreit von Reaktion, Konsequenz und Sinn. 

Ästhetisch gefällt "Die Falle" durch seine trist düstere Farbgebung, die das Bild immerzu beherrscht, das seelische Loch charakterisierend, in dem sich die Protagonisten befinden. Davon abgehoben wird lediglich das Auto der Familie behandelt, dargestellt als Platz der Besinnung, in dem die Stimmung umzuschwingen scheint, in dem die Stille erst ihre Bedeutung gewinnt, der gesamten Situation übergeordnet, und letztlich besonders in der Schlussszene an Brisanz gewinnend. Das Ende versucht einen Kompromiss zu finden, der in dieser Form schlicht deplatziert wirkt, er der Natur der Hauptfigur in ihrer Willkür jedoch fast schon entspricht. Denn im Endeffekt ist "Die Falle" ebenso impulsiv, zufällig und auf unkonventionellste Art und Weise mit der Moralkeule fuchtelnd.